Equador okkupiert Mexiko – diplomatischer Tabubruch
Deine Botschaft ist meine Burg
Zur Erstürmung der mexikanischen Botschaft in Quito und zum Regionalvölkerrecht in Lateinamerika
Der Film „Casino Royale” aus dem Jahr 2006 beginnt damit, dass der Geheimagent James Bond in Antananarivo, der Hauptstadt von Madagaskar, einem Offizier der Lord’s Resistance Army, einer bewaffneten Gruppe aus Uganda, hinterherjagt. Der Gejagte gelangt schließlich auf ein Botschaftsgelände und hofft nun, nicht mehr von dem Agenten des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 verfolgt zu werden. Bond jedoch macht vor den Mauern des Botschaftsgeländes nicht halt und tötet den Offizier dort schließlich. Zurück in London ist M, die Vorgesetzte von James Bond, verärgert, dass dieser mit seiner Aktion ein unverletzliches Gesetz der internationalen Beziehungen gebrochen habe.
Die fiktive Geschichte aus dem Film ist genau das: eine fiktive Geschichte. Nichtsdestotrotz kommt es zwar selten, aber immer wieder einmal vor, dass die Gebäude und Gelände diplomatischer Vertretungen tatsächlich von Sicherheitskräften eines anderen Staates gestürmt werden. Ebendies geschah am 5.4.2024, als in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito Polizeieinheiten in die Botschaft von Mexiko eindrangen. Ziel der Sicherheitskräfte war dabei die Ergreifung des ehemaligen Vizepräsidenten Ecuadors, Jorge David Glas Espinel. Dieser bekleidete das Amt von 2013 bis 2017 unter dem linksgerichteten Präsidenten Rafael Correa. Glas war mehrfach zu Haftstrafen verurteilt und inhaftiert worden. Im Dezember 2023 gelang ihm die Flucht in die Botschaft, wo ihm Zuflucht gewährt wurde.
Mexiko bezeichnete die Polizeiaktion umgehend als eine grobe Verletzung des Völkerrechts und brach die diplomatischen Beziehungen mit Ecuador ab. Auf dem Kurznachrichtendienst X bezeichnete der Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, Glas als einen Flüchtling, der um Asyl wegen Verfolgung und Schikanen gegen seine Person nachgesucht habe. In der internationalen Gemeinschaft löste die Erstürmung der Botschaft Entrüstung aus; die Regierungen von 18 lateinamerikanischen und zehn europäischen Staaten sowie die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika und von Kanada stellten sich hinter Mexiko. Die mexikanische Regierung erwägt nunmehr, Ecuador in der Angelegenheit vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag zu verklagen. Eine solche Klage dürfte erfolgreich sein, auch wenn die mexikanische Position nicht in Gänze unproblematisch ist, da die Gewährung der Zuflucht in der Botschaft nach den lateinamerikanischen Völkerrechtsregeln rechtswidrig sein könnte.
Höhepunkt einer diplomatischen Krise
Die Erstürmung der Botschaft ist der vorläufige Höhepunkt einer diplomatischen Krise zwischen Ecuador und Mexiko, die sich in den vergangenen Tagen immer weiter verschärft hatte. Diese dürfte auch in den gegensätzlichen politischen Positionen der involvierten Regierungsspitzen wurzeln. Ecuador wurde von 2003 bis 2021 von linken Präsidenten regiert; die Präsidentschaftswahl im Jahr 2021 gewann allerdings der konservative Politiker Guillermo Lasso, der zwei Jahre später durch den gegenwärtigen Präsidenten des Andenstaates, Daniel Noboa, abgelöst wurde. Dieser wird im politischen Spektrum in der Mitte bis in den Mitte-Rechts-Bereich hinein verortet. Der mexikanische Präsident hingegen ist ein Sozialdemokrat mit einer teils links-populistischen Ausrichtung. López Obrador hatte die ecuadorianische Präsidentschaftswahl von 2023 kritisiert und insinuiert, dass Noboas Wahlsieg darauf zurückzuführen sei, dass der Kandidat Fernando Villavicencio nur einige Wochen vor der Wahl ermordet wurde. Am 4.4.2024 war daraufhin die mexikanische Botschafterin von Ecuador zur persona non grata erklärt worden.
Unverletzlichkeit des Botschaftsgebäudes
Für die Botschaft der Vereinigten Mexikanischen Staaten in der Republik Ecuador gilt – wie für jede andere Botschaft in jedem anderen Staat auch – ein Rechtssatz, der schon sehr lange Teil des globalen Völkergewohnheitsrechts ist und sich seit 1961 in Artikel 22 Abs. 1 S. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) wiederfindet: „Die Räumlichkeiten der Mission sind unverletzlich.“ Dieser Schutz ist absolut. Jedweder hoheitliche Zugriff des Empfangsstaates, also des Staates, in dem sich die Botschaft befindet, oder auch eines anderen Staates, ist verboten. Eine Ausnahme kann hiervon nach Artikel 22 Abs. 1 S. 2 WÜD nur gemacht werden, wenn der Missionschef seine Zustimmung zum Betreten und zu entsprechenden Maßnahmen des anderen Staates erteilt. In der internationalen Praxis wird der Missionschef, regelmäßig der Botschafter oder der Geschäftsträger, sich vor einem solchen Akt aber in den allermeisten Fällen mit dem eigenen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten abstimmen müssen.
An dem Befund der Unverletzlichkeit ändert sich auch nichts dadurch, dass es nach dem WÜD – zu dessen Vertragsstaaten auch Mexiko und Ecuador gehören – und dem entsprechenden globalen Völkergewohnheitsrecht nicht Aufgabe einer diplomatischen Mission ist, im Empfangsstaat strafrechtlich verfolgten Personen eine Zuflucht zu gewähren. Artikel 3 Abs. 1 WÜD listet die Aufgaben einer diplomatischen Mission auf; dazu gehören die Vertretung des Entsendestaates im Empfangsstaat, der Schutz der Interessen des Entsendestaates und seiner Angehörigen im Empfangsstaat, die Verhandlungsführung mit dem Empfangsstaat, Informationsbeschaffung für den Entsendestaat, die Förderung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Entsende- und Empfangsstaat sowie der Ausbau der wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten. Handlungen und Maßnahmen, die über die genannten Aufgaben hinausgehen und den Interessen des Empfangsstaates zuwiderlaufen, können als Missbrauch der Räumlichkeiten der Mission eingestuft werden. Der IGH hatte im Asyl-Fall zwischen Kolumbien und Peru im Jahr 1950 – also schon vor Inkrafttreten des WÜD – zudem eine Gewährung von Zuflucht für eine strafrechtlich verfolgte Person als verbotene Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates betrachtet. Artikel 41 Abs. 3 WÜD sieht zur aufgabenfremden Nutzung des Geländes und der Räume der Botschaft vor:
„The premises of the mission must not be used in any manner incompatible with the functions of the mission as laid down in the present Convention or by other rules of general international law or by any special agreements in force between the sending and the receiving State.“
Ein Missbrauch der Missionsräumlichkeiten rechtfertigt aber keinesfalls eine Durchbrechung des oben beschriebenen Schutzes. Der IGH hat im Teheraner Geiselfall zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Iran im Jahr 1980 festgestellt, dass das Völkerrecht der diplomatischen Beziehungen ein sogenanntes self-contained regime sei; dieser Befund gilt heute als gesichert. Auf Verletzungen des WÜD kann damit nur mit Mitteln reagiert werden, die das WÜD selbst vorsieht. Eine Erstürmung der Botschaft eines fremden Staates zur Festnahme eines eigenen Staatsangehörigen ist dort nicht vorgesehen. Versuche im völkerrechtlichen Schrifttum, bei schwerwiegenden Verletzungen seitens der Mission des Entsendestaates eine Verwirkung des Missionsstatus und damit eine Möglichkeit etwa zu Zwangsmaßnahmen des Empfangsstaates in den Räumlichkeiten der Mission zu begründen, überzeugen nicht. Eine sich entwickelnde Staatenpraxis in diesem Bereich ist bisher nicht erkennbar.
Diplomatisches Asyl
Dem Vorwurf des Missbrauchs des Botschaftsgebäudes durch Mexiko wegen der Gewährung von Zuflucht für Glas steht zudem das Regionalvölkerrecht in Lateinamerika grundsätzlich entgegen. Die mexikanische Regierung hat dem ehemaligen Vizepräsidenten nämlich das sogenannte diplomatische Asyl gewährt. Diese Praxis, die auch zuweilen als Botschaftsasyl bezeichnet wird, ist im globalen Recht der diplomatischen Beziehungen nicht anerkannt. Weder kennt das WÜD ein solches Rechtsinstitut, noch ist bisher entsprechendes Völkergewohnheitsrecht entstanden, das für alle Staaten der Welt Geltung beansprucht. Letzteres hatte der IGH schon im Asyl-Fall von 1950 festgestellt. Dem Verfahren lag die Flucht des peruanischen Politikers Víctor Raúl Haya de la Torre in die kolumbianische Botschaft in Lima zugrunde. Haya de la Torre war die Führungspersönlichkeit der linksgerichteten Partei Alianza Popular Revolucionaria Americana. Er stand zum Zeitpunkt seiner Flucht unter Anklage wegen eines gescheiterten Putschversuches gegen die Regierung von Peru im Jahr 1948.
Allerdings ist die Rechtslage in Lateinamerika heute eine andere. Im kolumbianisch-peruanischen Asyl-Fall konnte der IGH zwar auch noch kein geschlossenes regionales Völkergewohnheitsrecht im Bereich des Rechts zur Gewährung von diplomatischem Asyl ausmachen, schloss allerdings auch nicht aus, dass es entsprechendes bilaterales oder multilaterales Völkergewohnheitsrecht zwischen einzelnen lateinamerikanischen Staaten geben könne. Zuvor waren bereits diverse Regeln und Verträge zwischen Staaten des amerikanischen Doppelkontinents verabschiedet worden, in denen die Frage des diplomatischen Asyls aufgegriffen worden war, denen sich aber nicht alle Mitglieder der regionalen Staatengemeinschaft anschlossen. Auf der sechsten Internationalen Konferenz Amerikanischer Staaten 1928 in Havanna wurden zwischen den teilnehmenden Staaten Regeln beschlossen, die bei der Gewährung von Asyl zu beachten seien. Kurz darauf wurde ebenfalls in Havanna das Übereinkommen über die Verankerung dieser Regeln unterzeichnet. Im Jahr 1933 folgte das in Montevideo unterzeichnete Übereinkommen über politisches Asyl, und 1939 wurde erneut in der Hauptstadt von Uruguay der Vertrag über Asyl und politische Zuflucht abgeschlossen. In Artikel 2 des Übereinkommens von 1928 war etwa ausdrücklich vorgesehen, dass die Gewährung von Asyl für politische Straftäter in den Botschaftsräumen des Entsendestaates durch den Empfangsstaat in gewissem Umfang zu respektieren sei. Die Verträge von 1933 und 1939 enthielten ebenfalls Regelungen in diesem Bereich. Eine lokale Entwicklung hin zu einem Recht für Staaten, Asyl in ihren Botschaften zu gewähren, war in Lateinamerika also bereits früh im 20. Jahrhundert erkennbar.
Die letzte Kodifizierung dieser Fragen findet sich in dem 1954 in Caracas unterzeichneten Übereinkommen über diplomatisches Asyl, das die zuvor skizzierte Rechtsentwicklung fortsetzt. Dieser Vertrag wurde noch in den 1950er Jahren sowohl von Ecuador als auch von Mexiko unterzeichnet und ratifiziert und bildet damit einen für den Glas-Fall zwischen beiden Staaten anwendbaren völkerrechtlichen Rahmen. Tatsächlich wurde die Klausel „any special agreement“ in den bereits angeführten Artikel 41 Abs. 3 WÜD aufgenommen, um den Staaten Lateinamerikas die völkerrechtliche Möglichkeit zur Gewährung diplomatischen Asyls offenzuhalten.
Artikel II des Übereinkommens von Caracas sieht ausdrücklich vor, dass jedem Vertragsstaat das Recht zusteht, diplomatisches Asyl zu gewähren. Allerdings unterscheidet das Übereinkommen hinsichtlich der Gründe, aus denen Personen um diplomatisches Asyl nachsuchen können. Nach Artikel I des Übereinkommens ist einerseits das Botschaftsasyl für Personen, die aus politischen Gründen oder wegen politischer Straftaten verfolgt werden, vom Empfangsstaat zu respektieren. Andererseits ist es nach Artikel III des Übereinkommens nicht rechtmäßig, Beschuldigten oder bereits Verurteilten diplomatisches Asyl zu gewähren, denen eine gewöhnliche Straftat vorgehalten wird, es sei denn, dass die Maßnahmen, die dem Ersuchen nach Asyl zugrunde liegen, einen klaren politischen Charakter haben. Das Bestimmungsrecht über alle Fragen des Charakters der Straftaten und der Verfolgungsakte liegt nach Artikel IV des Übereinkommens bei dem Staat, der diplomatisches Asyl gewährt.
Im Fall von Glas hat die mexikanische Regierung einen politischen Charakter für dessen Verfolgung angenommen. Ob der ehemalige Vizepräsident tatsächlich aus politischen Gründen verfolgt wurde, ist in Ansehung der Vorgeschichte allerdings nicht unproblematisch. Bereits 2017 war Glas zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe wegen Korruption im Rahmen der Aufdeckung des lateinamerikaweiten Skandals bezüglich der brasilianischen Baufirma Odebrecht verurteilt worden. Im Jahr 2020 wurde er zu weiteren acht Jahren Haft wegen schwerer Bestechlichkeit verurteilt. Im Jahr 2021 kam für Glas eine weitere Verurteilung zu nochmals acht Jahren Gefängnis hinzu. Grund für das letzte Urteil war der Missbrauch öffentlicher Mittel bei einem Vertrag im Erdölgeschäft. Im Dezember 2022 wurde Glas aus der Haft entlassen, durfte aber das Land bis zum Ablauf seiner Strafe nicht verlassen. Die Generalstaatsanwaltschaft bestand zudem auf einer weiteren Verfolgung wegen der zweckwidrigen Verwendung öffentlicher Mittel, die eigentlich für den Wiederaufbau der 2016 von einem schweren Erdbeben betroffenen Provinz Manabí gedacht waren. Die Arten dieser Straftaten deuten nicht auf eine politische Motivation hin, sondern scheinen Teil des Geschäftsgebarens von Glas gewesen zu sein. Damit wird man prima vista diese Straftaten in den Bereich der gewöhnlichen Straftaten im Sinne des Übereinkommens von Caracas einzustufen haben. Ob die Verfolgung des flüchtigen Glas durch die ecuadorianischen Behörden ihrerseits einen klaren politischen Charakter hatte, erscheint damit ebenfalls höchst fragwürdig.
Gute Chancen für Mexiko in Den Haag
Die von der mexikanischen Regierung angekündigte Klage gegen Ecuador vor dem Weltgerichtshof wird bezüglich des Eindringens in das Botschaftsgebäude durch die Polizeikräfte und der dortigen Festnahme von Glas höchstwahrscheinlich Erfolg haben. Die absolute Unverletzlichkeit der Botschaft im Sinne von Artikel 22 Abs. 1 S. 1 WÜD streitet hier für Mexiko. Hinsichtlich einer etwaigen Verteidigungslinie Ecuadors in Bezug auf eine Verletzung des Übereinkommens von Caracas durch Mexiko könnte der nordamerikanische Staat allerdings eine teilweise Niederlage erleiden. Sollte der IGH ein entsprechendes Vorbringen durch Ecuador im Verfahren als relevant einstufen, dürfte es interessant sein, ob der Gerichtshof das Bestimmungsrecht aus Artikel IV des Übereinkommens zugunsten von Mexiko so auslegt, dass es das Erfordernis einer klaren politischen Verfolgungsmaßnahme zu überspielen vermag. Jedenfalls wird die Aktion der ecuadorianischen Sicherheitskräfte nicht zu einer Staatenpraxis führen, die lokal oder global zu einer Aufweichung des völkerrechtlichen Schutzes von Botschaftsgebäuden führt. Dieser Schutz ist ein zentrales Element des Rechts der diplomatischen Beziehungen, von dem letztlich alle Staaten profitieren.
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Autor: Brunner, M.: „Deine Botschaft ist meine Burg – Zur Erstürmung der mexikanischen Botschaft in Quito und zum Regionalvölkerrecht in Lateinamerika“, VerfBlog, 2024/4/10, https://verfassungsblog.de/begnadigung-von-gefolgsleuten-und-keiner-merkts/, Anmerkungen und Verweise siehe dort, als Open Access | CC BY-SA | DOI: 10.59704/3b124408a7198678
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