Kirchensteuer u. Staats­leistungen – quo vaditis?

Kirchensteuereinnahmen sinken kaufkraftbereinigt

Schätzungsweise 13 Mrd. Euro betrug das Kirchensteueraufkommen im Jahr 2022 (vgl. Abbildung 1). Dies entspricht einem Plus gegenüber dem Jahr 2021 von rund 300 Mio. Euro. Auf die katholische Kirche entfielen im Jahr 2022 knapp 6,8 Mrd. Euro, auf die evangelische Kirche rund 6,2 Mrd. Euro.

Abbildung 1
Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen
Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen

Quellen: Deutsche Bischofskonferenz (2022); EKD (2023); eigene Berechnungen.

Um die Dynamik der Kirchensteuereinnahmen einzuordnen, bietet sich ein Vergleich mit den Staatseinnahmen an. Denn die Kirchensteuer wird proportional zur Einkommensteuerschuld erhoben. Deshalb wachsen die nominalen Steuereinnahmen der beiden christlichen Kirchen grundsätzlich mit der Entwicklung der Einnahmen aus der Einkommensteuer. Die Bruttogehälter legten 2022 um rund 3,5 % zu. Der Staat verzeichnete in der Folge einen Zuwachs bei der Einkommensteuer (Lohn- und veranlagte Einkommensteuer sowie Kapitalertrag- und Abgeltungsteuer) in Höhe von 4,5 %. Dagegen legten die Einnahmen aus der Kirchensteuer nur um schätzungsweise 2,5 % zu.

Der gegenüber der Einkommensteuer geringere Anstieg der Kirchensteuereinnahmen liegt darin begründet, dass der Kreis der Kirchensteuerzahler:innen erneut geschrumpft ist. Im Jahr 2022 hat sich die Zahl der Austritte sowohl aus der evangelischen als auch aus der katholischen Kirche auf ein Rekordniveau erhöht. Zudem zählten die Kirchen deutlich mehr Sterbefälle als Taufen und Wiedereintritte zusammen. Insgesamt ging die Zahl der Kirchenmitglieder im Jahr 2022 um 1,3 Mio. Personen und damit um mehr als 3 % zurück. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl der Kirchenmitglieder sogar um ein Viertel auf aktuell rund 40 Mio. Mitglieder gesunken.

Neben der hohen Austrittsdynamik setzt mit dem demografischen Wandel ein im Grundsatz unabwendbarer Faktor die Kirchen zusätzlich unter Zugzwang. Dieser Trend wird sich ab Mitte dieses Jahrzehnts verstärken, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und dann weniger Einkommensteuer – und entsprechend weniger Kirchensteuer – bezahlen werden als in ihrer Erwerbsphase. Für die Kirchensteuer kommt als verstärkender Effekt hinzu, dass unter den Erwerbstätigen im Laufe der kommenden Jahre der Anteil der Kirchensteuerzahler sinken wird, da von den jüngeren Jahrgängen ein kleinerer Anteil Mitglied der Kirchen ist.

Technisch wird die Kirchensteuer als Aufschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer erhoben. In Baden-Württemberg und Bayern beträgt der Zuschlagssatz 8 %, im Rest der Republik 9 %. Seit 2009 wird auf gezahlte Abgeltungsteuer ebenfalls Kirchensteuer erhoben. Statistisch gesehen bezahlte 2022 ein Kirchenmitglied durchschnittlich 320 Euro Kirchensteuer. Diesen Betrag erreicht ein Single mit einem Bruttojahresgehalt von 32.000 Euro. Allerdings verteilt sich das Aufkommen ungleich auf die 40 Mio. Mitglieder, da Kinder keine und viele Rentner kaum oder ebenfalls keine Kirchensteuer entrichten. So tragen gemessen am Einkommen die oberen 30 % der Kirchenmitglieder schätzungsweise drei Viertel des Aufkommens (vgl. Abbildung 2). Dies folgt zwar dem Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, da die Kirchensteuer proportional zur Einkommensteuerschuld erhoben wird und deshalb für die Verteilung der Kirchensteuerlast die gleiche Logik gilt wie im staatlichen Steuerrecht. Gleichzeitig birgt das aber für die Kirchenfinanzen ein Risiko, weil die Hauptlast der Kirchensteuer, die ohnehin bereits auf den starken Schultern eines Teils ihrer Mitglieder liegt, sich künftig auf immer weniger Schultern verteilen wird.

Abbildung 2
Verteilung des Kirchensteueraufkommens nach äquivalenzgewichteten Haushaltsbruttoeinkommen, 2023
Verteilung des Kirchensteueraufkommens nach äquivalenzgewichteten Haushaltsbruttoeinkommen, 2023

Quellen: SOEP v36 (2019); eigene Berechnungen mit dem IW-Mikrosimulationsmodell STATS, Beznoska (2016).

Zwar ist in den kommenden Jahren weiter mit nominal steigenden Kirchensteuereinnahmen zu rechnen. Allerdings fällt der Anstieg sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche voraussichtlich eher gering aus. Dies ergibt sich aus einer Prognose, die sich auf die Steuerschätzung für den Zeitraum bis 2027 stützt. Die Schätzwerte wurden auf Basis aktueller Konjunkturdaten angepasst. Für die Inflationsrate wurde ab dem Jahr 2024 ein Rückgang auf 2 % bis 3 % angenommen. Zudem wurden verabschiedete und zu erwartende Steuerrechtsänderungen so weit wie möglich berücksichtigt – z. B. der Ausgleich der kalten Progression oder die Erhöhung des Grundfreibetrags. Gleichzeitig unterstellt die Schätzung einen anhaltenden Mitgliederrückgang. Dabei wird für die Jahre 2023 bis 2027 angenommen, dass der Rückgang in einer Größenordnung ausfällt wie im Durchschnitt der Jahre 2020 bis 2022 (rund 2,6 % pro Jahr). Aufgrund des aktuell hohen Mitgliederschwunds wird damit eine gegenüber dem Jahr 2022 leicht abgeschwächte Austrittsdynamik unterstellt.

In realen Werten müssen die beiden Kirchen allerdings mit einem Rückgang der Einnahmen rechnen. Denn mit der Inflation verliert auch jeder Euro Kirchensteuer an Kaufkraft. Kaufkraftbereinigt werden die Steuereinnahmen deshalb voraussichtlich bis 2027 weder das Vorkrisenniveau des Jahres 2019 (rund -10 %) noch den Wert des Jahres 2022 (fast -4 %) erreichen, auch wenn sie nominal weiter steigen werden.

Bis zur Coronakrise waren die Kirchensteuereinnahmen dagegen über viele Jahre auch real gestiegen. Dies lag vor allem an der zunächst steigenden und dann anhaltend hohen Beschäftigung sowie den steigenden Einkommen in Kombination mit dem progressiven Einkommensteuertarif. Dadurch konnte der einsetzende Mitgliederschwund zeitweise kompensiert werden. Dies ist für die Zukunft nicht mehr zu erwarten.

Real stagnierende oder gar rückläufige Steuereinnahmen würden den Handlungsspielraum der Kirchen spürbar verengen. Entstehende Finanzierungslücken müssen die Kirchen anderweitig schließen, z. B. auf der Ausgabenseite durch die Einschränkung ihrer Leistungen oder auf der Einnahmenseite durch die Veräußerung von Vermögen. Denkbar wäre auch eine rentierliche Anlage des Kirchenvermögens. Eine Erhöhung der Kirchensteuer würde dagegen vermutlich die Austrittsdynamik weiter antreiben und wäre in dem Fall auch finanziell kontraproduktiv. Anders gewendet liegen aber hier die Handlungsoptionen für die Kirchen. Während der demografische Wandel unabänderlich ist, gilt dies für die Austrittsdynamik nicht. Vielmehr wäre ein Rückgang der Austritte ein Hebel zur Stabilisierung der Einnahmen.

Auch wenn im säkularen Deutschland Staat und Kirche kassenmäßig getrennt sind, gibt es verschiedene Berührungspunkte. Eingezogen wird die Kirchensteuer von den staatlichen Finanzämtern. Zur Erstattung der anfallenden Erhebungskosten erhält der Fiskus durchschnittlich 3 % der Einnahmen. Diese Gebühr ist bei den genannten Werten bereits berücksichtigt.

Zudem ist die gezahlte Kirchensteuer von der Einkommensteuer abzugsfähig, weshalb jeder Euro Kirchensteuer zu einer Reduzierung des Einkommensteueraufkommens führt. In der Steuererklärung wird die Kirchensteuer wie eine Spende an eine gemeinnützige Organisation behandelt. Insgesamt fallen die Einkommensteuereinnahmen aktuell durch den Sonderausgabenabzug der gezahlten Kirchensteuer pro Jahr um gut 4 Mrd. Euro geringer aus. Diese Begünstigung erfüllt laut dem Subventionsbericht der Bundesregierung einen subventionsähnlichen Tatbestand, stellt jedoch keine Subvention dar.

Hinzu kommen die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen, die mit der Säkularisation infolge des Reichsdeputationshauptschluss von 1803 begründet werden. Damals wurden kirchliche Gebiete und Güter verstaatlicht. Zum Ausgleich erhalten die Kirchen seitdem jedes Jahr eine Zahlung vom Staat. In diesem Jahr belaufen sich die Staatsleistungen auf 602 Mio. Euro. Seit Bestehen der Bundesrepublik summieren sich die Ausgleichszahlungen auf rund 20 Mrd. Euro.

Die amtierende Bundesregierung hat sich derweil im Koalitionsvertrag vorgenommen, diese jährliche Leistung im Dialog mit den Ländern und den Kirchen mittels eines Grundsätzegesetzes abzulösen. Dies bedeutet, dass die Bundesregierung eine Verhandlungslösung anstrebt, nach der die Kirchen eine Einmalzahlung oder eine konkret definierte Ratenzahlung erhalten. Dabei wird es vor allem um die angemessene Höhe der Ausgleichszahlung gehen. Ein Antrag von FDP, Die Linke und Bündnis90/Die Grünen aus dem Jahr 2020, der in Anlehnung an das Bewertungsgesetz einen Ausgleich in Höhe des 18,6-fachen der Jahreszahlung vorsah, wurde vom Deutschen Bundestag abgelehnt. Der Grundgedanke dabei ist das in der Unternehmensbewertung etablierte Konzept einer ewigen Rente, bei dem durch Abzinsung künftiger Zahlungsströme ein Barwert ermittelt wird. Eine offene Frage ist in diesem Zusammenhang, inwieweit bisher geflossene Zahlungen bei der Berechnung einer Einmalzahlung berücksichtigt werden sollten. Sollten bisherige Zahlungen unberücksichtigt bleiben, bedeutet jedes Aufschieben einer Verhandlungslösung eine zusätzliche Belastung der Steuerzahler. Ohnehin ist eine Lösung mehr als überfällig: Denn ein Ablösegebot für die Staatsleistungen fand bereits Eingang in die Weimarer Reichsverfassung im Jahr 1919 und wurde auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen.
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Autor: Hentze, T., „Kirchensteuereinnahmen sinken kaufkraftbereinigt„,

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