Kriminelle Vereinigung – brisante Auslegung des §129 StGB

Wie man eine kriminelle Vereinigung macht
– Zu den Razzien gegen Mitglieder von „Letzte Generation“

Mit den bundesweiten Hausdurchsuchungen gegen Mitglieder von „Letzte Generation“ erreicht der gesellschaftliche Konflikt um die Klima-Proteste nach der Verurteilung erster Aktivist*innen zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung die nächste Eskalationsstufe. Nachdem die Staatsanwaltschaft Neuruppin bereits im Dezember vergangenen Jahres Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern von „Letzte Generation“ wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) durchgeführt hatte und das Landgericht Potsdam die Annahme eines entsprechenden Tatverdachts im Anschluss für rechtmäßig erachtete, kam es nach Medienberichten zu zahlreichen Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der „Letzten Generation“. Der Vorwurf jedenfalls gegen sieben Mitglieder von „Letzte Generation“: sich durch die Organisation einer Spendenaktion an einer kriminellen Vereinigung als Mitglied beteiligt bzw. diese unterstützt zu haben und sich dadurch nach § 129 StGB strafbar gemacht zu haben.

Strafrechtlich geht es damit jetzt nicht mehr nur um die einzelnen Protestaktion, die etwa als Sitzblockade eine strafbare Nötigung darstellen können. Kriminell soll nun bereits die bloße Mitgliedschaft bei der Gruppe  „Letzte Generation“ als solche sein.  Mit der Annahme eines Anfangsverdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verbindet sich der Vorwurf, dass es sich nicht mehr nur um das „kriminelle“ Verhalten Einzelner handelt, sondern um ein strukturelles Problem, eine Großgefahr für die Gesellschaft, die es gerade mit den schärfsten Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen gilt. Hierzu bedient man sich nun vorgelagerter Anknüpfungspunkte, indem der Zugriff des Strafrechts weit in das Vorfeld der eigentlichen Protestaktionen und damit verbundenen Rechtsgutsverletzungen verlagert wird. Damit werden nicht mehr nur die Einzelaktionen als strafbares Verhalten delegitimiert, sondern die Klima-Gerechtigkeitsbewegung im Ganzen, soweit sie sich in Zusammenschlüssen organisiert (aber auch organisieren muss), die auf zivilen Ungehorsam als Protestform setzen. Das „Feindbild Klimaaktivismus“, es nimmt mehr und mehr Kontur an.

Zum Vorwurf des § 129 StGB (Bildung einer kriminellen Vereinigung)

Zunächst einmal ist der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung i.S.d. § 129 StGB juristisch jedenfalls nicht völlig abwegig. Andererseits kann es keineswegs als ausgemacht gelten, dass die Mitgliedschaft bei „Letzte Generation“ tatsächlich strafbar ist. Thomas Fischer hat sich auf LTO vor einigen Tagen für eine differenzierte Betrachtung ausgesprochen. Er meint, dass die Annahme einer „kriminellen Teilvereinigung“ mit Blick auf solche Mitglieder von „Letzte Generation“ naheliege, die bereit sind, sozusagen an vorderster Front Straftaten zu begehen.

Nach allem, was man über „Letzte Generation“ weiß – Informationen über das Bündnis sind öffentlich einsehbar, die Initiative agiert weder im Verborgenen noch im Untergrund – ist es nicht völlig fernliegend, anzunehmen, dass es sich bei der „Letzten Generation“ um eine kriminelle Vereinigung handelt. § 129 Abs. 2 StGB definiert die Vereinigung als „ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“ Daran kann mit Blick auf die interne Organisation und Arbeitsteilung in verschiedenen internen Arbeitsgruppen bei „Letzte Generation“ kaum Zweifel bestehen. Nun geht es aber nicht um irgendwelche Vereinigungen, sondern um kriminelle. Das Strafgesetz beschreibt das tatbestandsmäßige Verhalten hier dementsprechend als Gründung (§ 129 Abs. 1, S. 1, 1. Alt. StGB) oder Beteiligung als Mitglied an einer solchen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. StGB), „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“ Zwar ist der Zweck von „Letzte Generation“ sicherlich nicht auf die Begehung von Straftaten gerichtet – es ist ja nicht das Ziel, Straftaten zu begehen, sondern lediglich das Mittel, um die Bundesregierung zu weiteren Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass sich das Bündnis hierzu vor allem mit Sitzblockaden auch strafbarer Protestformen bedient und damit eine „Tätigkeit“ entfaltet, die zum Teil eben auch auf die „Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind“ (der gesetzliche Strafrahmen der Nötigung, § 240 StGB, reicht von Geldstrafe bis Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren).

Und schließlich liegt es auch nicht fern, anzunehmen, dass die Organisation einer Spendenaktion oder auch die regelmäßige Teilnahme an Treffen oder der Durchführung von Aktionen ein Sich-Beteiligen als Mitglied im Sinne des § 129 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. StGB darstellt. Denn dafür genügt bereits die auf Dauer ausgerichtete Teilnahme an der Tätigkeit der Organisation. Das kann neben der Beteiligung an Planungen oder organisatorischer oder administrativer Aufgaben auch finanzielle Unterstützung, wie regelmäßige oder erhebliche Spenden sein.

Straftaten von „untergeordneter Bedeutung“

Dass eine Strafbarkeit von Mitgliedern von „Letzte Generation“ derzeit aber nicht zwingend gegeben sein muss, liegt allerdings an einem ebenfalls in § 129 StGB normierten Tatbestandsausschluss. In Absatz 3 heißt es, dass Absatz 1 nicht anzuwenden sei, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von „untergeordneter Bedeutung“ ist. Kuhli und Papenfuß haben in einem Aufsatz für die Kriminalpolitische Zeitung kürzlich vertreten, dass sich die Frage, ob Straftaten ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung sind, an den betroffenen Rechtsgütern orientieren muss. Handelt es sich um elementare Rechtsgüter, wie Leben, Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung, seien die Straftaten nicht von untergeordneter Bedeutung, während dies bei Eigentum oder der Willensfreiheit im Einzelfall angenommen werden könne. Aber das kann man sicherlich auch anders sehen und die Frage der „Bedeutung“ mit Blick auf andere Kriterien beurteilen. Aber das ist auch gar nicht das Problem, um das es hier gehen soll.

Einschüchterung und Abschreckung

Das „Problem“ mit den Hausdurchsuchungen ist nicht, dass Mitglieder von „Letzte Generation“ sich gegebenenfalls der Beteiligung als Mitglied an einer kriminellen Vereinigung strafbar gemacht haben oder strafbar machen können. Das Problem ist vielmehr der Tatbestand selbst und welche Auswirkungen die Annahme eines Anfangsverdachts haben kann. Bei der Strafvorschrift des § 129 StGB handelt es sich nämlich um einen Tatbestand, der (rechtspolitisch) ein anderes Ziel verfolgt, als es zunächst den Anschein hat. Nur auf den ersten Blick geht es um die Bestrafung des kriminellen Unrechts, eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben bzw. durch Strafandrohung davon abzuschrecken. Der Tatbestand ist ein sogenannter „Türöffner-Paragraf“. Die Tür, die er öffnet, führt direkt in den dunklen Bereich strafprozessualer (heimlicher) Überwachungsmethoden, die zu den eingriffsintensivsten Maßnahmen gehören, die ein liberal-freiheitlicher Rechtsstaat aufzubieten in der Lage ist: Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO), Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) und akustische Wohnraumüberwachung (§ 100c StPO).

Freilich müssen diese Maßnahmen ebenso wie Hausdurchsuchungen richterlich angeordnet werden und sind – zu Recht – nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Aber allein die mit der Annahme eines Tatverdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gem. § 129 StGB verbundene Möglichkeit, zu Hause in seinen Privaträumen durchsucht und überwacht oder am Telefon oder sonstigen mobilen Geräten abgehört zu werden, ist eine sehr, sehr heikle Angelegenheit – mit tiefgreifenden Folgen für die Betroffenen. Hier sind wir an dem Punkt, von dem aus betrachtet die „Razzien“ gegen Mitglieder der „Letzten Generation“ auf einmal in einem anderen Licht erscheinen. Es geht nicht mehr um „normale“ Ermittlungsverfahren wegen eines „normalen“ Anfangsverdachts. Es geht um den entgrenzten Zugriff des Staates auf die Kommunikation und die heimliche Ausleuchtung von Strukturen einer politischen Bewegung. Die mit den strafprozessualen Möglichkeiten verbundene Machtdemonstration des Staates ist zugleich geeignet, eine Abschreckungs- und Einschüchterungswirkung zu entfalten, die sich dabei nicht nur auf die beschuldigten Personen und Mitglieder von „Letzte Generation“ erstreckt. Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagieren oder solche Bündnisse finanziell unterstützen wollen, die sich für Klimaschutz einsetzen, dürften es sich fortan zwei Mal überlegen, ob sie das angesichts des Strafbarkeitsrisikos und der demonstrierten Strafverfolgungsmacht wirklich tun sollten. Und das Schlimme daran ist, dass sie das in vielen Fällen auch dann unterlassen werden, wenn die Unterstützung oder das Engagement überhaupt gar nicht strafbar wäre. Diese überobligatorischen, also an sich gar nicht notwendige Freiheitseinschränkungen werden in der (Verfassungs-)Rechtswissenschaft als chilling effects bezeichnet. Umschrieben werden damit abschreckende bzw. einschüchternde Nebeneffekte staatlichen Handelns auf das Verhalten bzw. die Grundrechtsausübung Dritter, also nicht den eigentlichen Adressaten der staatlichen (hier: strafprozessualen) Maßnahmen. Verfassungsrechtlich wird dieses Argumentationsmuster in Form erhöhter Rechtfertigungsvoraussetzungen operationalisiert. Nun scheint es gerade im Kontext der Strafverfolgungstätigkeiten gegen Klima-Aktivist*innen angemessen, erhöhte Rechtfertigungsanforderungen gerade auch an strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen zu fordern. Denn Klima-Protest ist ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen, das ein ideelles Feld der Grundrechtsverwirklichung insbesondere der Kommunikationsgrundrechte der Art. 5, 8 GG darstellt. Klima-Protest ist im Grundsatz Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Razzien und andere mögliche strafprozessuale Maßnahmen behindern die Teilhabe an dieser Form öffentlicher Meinungsbildung aber strukturell. Die Einschüchterungseffekte, die mit der intensiven Strafverfolgung einhergehen, sollten deshalb gerade hier in besonderem Maße berücksichtigt werden.

Kriminelle Vereinigung als selbsterfüllende Prophezeiung oder: wie man eine kriminelle Vereinigung macht

Bauchschmerzen bereitet (mir) schließlich noch eine weitere Sorge. Auch wenn es derzeit nicht wahrscheinlich scheint, so ist auch nicht völlig auszuschließen, dass eine Strafverfolgung auf Grundlage von § 129 StGB einen weiteren Effekt hat, der gewissermaßen eine selbsterfüllende Prophezeiung darstellen könnte. Die Rede von der „Klima-RAF“ oder „Klima-Terrorismus“ in Verbindung mit einer strafrechtlichen Konzentration auf die Organisation selbst und nicht mehr die einzelnen Mitglieder könnte ihre an sich völlig neben der Sache liegende Einordnung bzw. Zuschreibung in näherer Zukunft möglicherweise zur Realität werden lassen. Die sich nunmehr gegen das Bündnis selbst und die interne Struktur von „Letzte Generation“ richtende Strafverfolgung könnte nämlich dazu führen, dass einige Mitglieder in den Untergrund gedrängt werden, was mit weiterer Desozialisierung und Isolation verbunden ist. Das wiederum kann zur weiteren Radikalisierung führen – so macht man dann wirklich kriminelle Vereinigungen.
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Autor: Wenglarczyk, Fynn: Wie man eine kriminelle Vereinigung macht: Zu den Razzien gegen Mitglieder von „Letzte Generation“, VerfBlog, 2023/5/24, https://verfassungsblog.de/wie-man-eine-kriminelle-vereinigung-macht/, mit geringfügigen, redaktionell notwendigen/sinnvollen Anpassungen, als Open Access | CC BY-SA | DOI: 10.17176/20230524-231130-0

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