Restitution von Kulturgütern
– aktuelle Debatte(-n)
Nun sag’, wie hast du’s mit Kaiserreich und Kolonialismus?
Über Parallelen und Brüche in der Debatte um die Rückgabe der Benin-Bronzen und den Streit um Ausgleichsleistungen an das „Haus Hohenzollern“
Einmal mehr stehen die sogenannten Benin-Bronzen im Mittelpunkt kulturpolitischer Streitgespräche. Nach jahrelanger Debatte begann vergangenes Jahr endlich die Restitution von den Tafeln und Skulpturen, die Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge einer britischen Strafexpedition aus dem Palast des westafrikanischen Königreichs Benin geraubt wurden und seither (noch immer) auch in deutschen Museen ausgestellt sind. Doch nun macht seit einigen Tagen das geflügelte Wort vom „Raubkunst-Fiasko“ die Runde. Was war geschehen?
Bereits Mitte April dieses Jahres hatte die nigerianische Tageszeitung „This Day“ darüber berichtet, dass die scheidende Regierung mittels einer Bekanntmachung verfügt habe, dass das Eigentum an den bereits zurückgegebenen und in Zukunft noch zurückzuführenden Artefakten dem Oba (König von Benin) übertragen wird. Drei Wochen später rekurrierte auf eben diese Meldung die renommierte Schweizer Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin, die in dieser kulturpolitischen Entscheidung der Regierung der Bundesrepublik Nigeria nicht weniger als einen Skandal zu erkennen glaubt. „War das der Sinn der Restitution?“, fragte Hauser-Schäublin schon in der Überschrift ihres inzwischen prominent gewordenen Gastbeitrags und beantwortet die von ihr aufgeworfene Frage gleich selbst: Jetzt zeige sich, wie verfehlt und übereilt die Rückgabe durch die deutschen Museen gewesen sei.
Bemerkenswerterweise übernahmen postwendend zahlreiche Medienbeiträge das Häuser-Schäublin-Narrativ und ward im Übrigen nur von einigen wenigen Fachhistoriker*innen und –jurist*innen in Frage gestellt. Darüber hinaus schlugen die Feuilletons der beiden größten deutschen Tageszeitungen unabhängig voneinander einen Bogen von Benin City nach Berlin, indem sie die Frage der Rückgabe der Benin-Bronzen mit den Forderungen nach Ausgleichsleistungen der vormals das Königreich Preußen regierenden Familie in Verbindung brachten. So prognostizierte Jörg Häntzschel in der SZ, dass man sich in Deutschland nicht damit leichttun werde, die Entscheidung der nigerianischen Regierung zu akzeptieren. Denn die Aufregung sei groß gewesen, „als unser eigener Oba, Georg Friedrich von Preußen [sic!], große Teile des früheren Familienbesitzes der Hohenzollern vom Staat zurückforderte.“ Und in der FAZ kritisierte Andreas Kilb die bislang vorherrschende „Einseitigkeit“ der Ausstellung des Museums im Königspalast von Benin City. Diese sei vom Standpunkt des Obas aus verständlich, so wie es auch verständlich sei, dass etwa die ehemalige deutsche Herrscherfamilie der Hohenzollern an die ruhmloseren Taten ihrer Vorväter nicht gern erinnert werden möchte.
Diese Verknüpfung der beiden womöglich am kontroversesten diskutierten Restitutionsfälle der jüngeren deutschen Geschichte wirft eine handvoll Fragen auf: Ist die Restitution der Benin-Bronzen tatsächlich mit den bis 2019 erst im Geheimen und im April 2023 schließlich in Teilen vor Gericht aufgegebenen Bemühungen des selbsternannten „Hauses Hohenzollern“ um Ausgleichsleistungen vergleichbar? Und selbst wenn die Unterschiede überwiegen sollten: Liegt womöglich eine Parallele in der Frage der musealen Präsentation beider königlichen Schätze? Und ist die Aufregung um die Forderungen „der Hohenzollern“ und die Restitution der Benin-Bronzen vielleicht Ausdruck von etwas Größerem, gar einem hinter beiden Phänomenen steckenden Deutungskampfes?
Äpfel und Birnen
Obwohl die „Hohenzollern-Debatte“, also die Forderung eines Ur-Ur-Enkels des letzten Deutschen Kaisers Wilhelm II. nach Ausgleichsleistungen für Enteignungen nach dem Ende des 2. Weltkriegs, die kulturpolitisch interessierte Öffentlichkeit erst seit ungefähr vier Jahren begleitet, hat der Vergleich dieses Phänomens mit anderen historischen Sachverhalten schon eine gewisse Tradition. Bereits der TV-Unterhalter Jan Böhmermann, der die Thematik im Herbst 2019 in seiner Fernsehshow aufgriff und sie so überhaupt erst bundesweit bekanntmachte, zog einen Vergleich zum Völkermord, ausgeübt von kaiserlichen Truppen an den Herero und Nama zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Nüchtern betrachtet wohnt beiden Vorgängen ohne jeden Zweifel ein berechtigtes Skandalpotential inne. Jedoch ist der Völkermord an den Herero und Nama und die bislang ausgebliebenen Reparationsleistungen der Bundesrepublik Deutschland ebenso wenig wie die Restitution der Benin-Bronzen mit den Bemühungen Georg Friedrich Prinz von Preußens um Ausgleichsleistungen für sein vermeintlich noch immer hochadeliges „Haus“ vergleichbar.
Von einem formalen, originär juristischen Standpunkt aus unterscheiden sich die Vorgänge in Benin City und Berlin nämlich bereits insoweit, als dass die Frage der Ausgleichsleistungen für den Nachfahren des letzten Kaisers grundsätzlich in bundesgesetzlichen Bahnen verläuft. Denn schon vor fast 30 Jahren hat der Deutsche Bundestag das Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) verabschiedet, auf dessen Grundlage neben tausenden anderen Fällen auch über das Begehren des „Hauses Hohenzollern“ zu entscheiden ist. Die Restitution der Benin-Bronzen war hingegen für lange Zeit und ist es größtenteils bis heute noch immer im (völker-)rechtlich luftleeren Raum zu verorten. Auch blieb beispielsweise ein Impuls des Bundesverfassungsgerichts, der Anfang der 1990er-Jahre entscheidend zur späteren Verabschiedung des AusglLeistG beigetragen hat (BVerfGE 84, 90 [128]), im Falle Benins bislang aus.
Aber auch mit Blick auf den der jeweiligen Debatte innewohnenden Nukleus bieten beide Fälle wenig Stoff für einen Vergleich. Denn hinter der „Hohenzollern-Debatte“ steht zum einen die politische Entscheidung des 1926er-Gesetzgebers, Teile des ehemaligen königlich-preußischen Hausvermögens in Privateigentum zu verwandeln und die darauf aufbauende Entscheidung des 1994er-Gesetzgebers, dass die spätere Enteignung dieses Vermögens ein Unrecht gewesen und daher auszugleichen sei. Ausgangspunkt dieser beiden in der „Hohenzollern-Debatte“ schließlich miteinander verknoteten politischen Entscheidung waren allerdings meuternde Matrosen, die die Revolution von 1918 auslösten und den Monarchen stürzten. Die historischen Hintergründe für die Rückgabe der Benin-Bronzen sind zwar ebenfalls in der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu suchen, liegen aber in der eingangs bereits erwähnten britischen Strafexpedition. Ein Vorgang, der zum Zeitpunkt seiner Ausführung und auch in den folgenden einhundert Jahren gebilligt worden war, mittlerweile aber von einer politischen Mehrheit doch als Unrecht anerkannt wird. Des Pudels Kern der Benin-Bronzen-Restitutionsdebatte ist insgesamt gerade aber kein innerstaatlicher Vorgang wie die Novemberrevolution, sondern eine im Namen des Empires ausgeübte Vergeltungstat der Royal Navy.
Geschichte zum Anfassen
Gewinnbringender als eine abstrakte Gleichsetzung beider Phänomene scheint hingegen die Suche nach einer Parallele auf Ebene der museumspolitischen Dimension beider Debatten zu sein. Denn ein Museum, wie es derzeit bereits im Hofstaat des Obas existiert und in dem die restituierten Artefakte nun präsentiert werden sollen, gab es seit den 1870er-Jahren auch schon im Königreich Preußen. 1877 hatte Wilhelm I. die Pforten seines Schlosses Monbijou im heutigen Berlin-Mitte erstmals einer breiteren Öffentlichkeit geöffnet, um Tuchfühlung aufzunehmen und mehr ideologische Nähe zwischen seiner Dynastie und den erst preußischen und schließlich sogar deutschen Untertanen zu schaffen. Nach der Novemberrevolution von 1918 öffnete das Museum abermals seine Tore, nun aber vollständig vom Freistaat Preußen finanziert, wobei die abgesetzte Kaiserfamilie weiterhin Einfluss auf die Wahl der dort Beschäftigten und die dargebotene Präsentation ausübte. Gegen Ende des 2. Weltkriegs wurde das Museum schließlich teilweise zerstört, später nicht wiederaufgebaut, geriet immer mehr in Vergessenheit und tauchte prominent erst wieder im Zuge der „Hohenzollern-Debatte“ auf. Angeblich, so berichteten verschiedene Medien, habe die schon seit einem Jahrhundert nicht mehr regierende Familie die Wiedereinrichtung eines eben solchen Museums gefordert, inklusive entsprechender Einflussmöglichkeiten auf die Darstellung der Geschichte der Familie und dadurch auch des Kaiserreichs. Das „Haus Hohenzollern“ beanspruche die Deutungshoheit über die Geschichte, so die These der Kritiker, die unverzüglich vom selbsternannten „Chef des Hauses“ in bis dahin unbekannten Ausmaßen erst abgemahnt und später sogar verklagt wurden.
Genau an dieser Stelle könnte nun tatsächlich eine belastbare Verbindung von Benin City nach Berlin liegen. Denn wenn sich wie mit den Schätzen aus preußischem Hausvermögen auch mittels der Benin-Bronzen Geschichte schreiben ließe, hat die Hoheit darüber tatsächlich diejenige Person, die über die Objekte real verfügen kann. Dieser Aspekt darf durchaus offen angesprochen werden, macht aber – und hier kann vor einem Kurzschluss durch das Verknüpfen beider Debatten nur gewarnt werden – die Restitution der Bronzen nicht falsch. Im Gegenteil: Wer es mit der Restitution ernst meint, muss auch akzeptieren, über die Geschicke der restituierten Objekte nicht länger nach eigenen Wertvorstellungen bestimmen zu können. Eine Restitution ganz ohne „paternalistische Bedingungen“ heißt dementsprechend aber auch, dass die Bronzen (abermals) veräußert werden könnten. Eine Vorstellung, die auf den ersten Blick irritieren mag – gerade in Deutschland aber nicht ohne Vorbild ist. Schließlich fanden in jüngerer Vergangenheit regelmäßig an ehemals „hochadelige“ Familien wie Prinz Reuß, Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen oder Herzog zu Mecklenburg restituierte Kulturgüter oder mit dem Beau Sancy sogar eines der Spitzenstücke aus dem Reigen der preußischen Kronjuwelen ihren Weg in die Hallen verschiedener Auktionshäuser.
Deutungskämpfe
Ungeachtet aller sich im direkten Vergleich auch auftuenden Parallelen und Brüche liegt eine Gemeinsamkeit der Debatten schließlich darin, dass sie beide im Kreuzfeuer historischer Deutungskämpfe stehen. Bereits die Aufregung über die materiellen und immateriellen Forderungen des letzten Kaisers Ur-Ur-Enkels spiegelt nicht nur die Frage nach Recht und Unrecht der Revolution von 1918 und der Abschaffung der Monarchie. Vielmehr ist sie zugleich auch der Aufhänger für die retrospektive Deutung des per „Blutgeburt“ geschöpften Kaiserreiches, dass – je nach Interpretation – entweder noch autoritär oder sogar schon erfrischend demokratisch, Militär- oder Kulturstaat war. Hierbei handelt es sich, und erinnert sei nur an die Kontroversen um den Wiederaufbau des „Berliner Schlosses“ (Humboldt Forum) oder der Potsdamer Garnisonkirche, mitnichten um einen Streit um des Kaisers Bart. Die Frage, inwieweit die jüngere „deutsche“ Geschichte von Kaiserreich über Weimarer, Bonner und Berliner Republik als Kontinuum zu deuten oder nicht doch von Brüchen durchsetzt ist, entscheidet schließlich auch darüber, ob „Hitler und die Nazis […] nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte (waren),“ oder ihre toxische Saat nicht vielmehr bereits schon im Kaiserreich gesät worden war.
In der jüngst wieder mit viel Verve diskutierten Frage der Rückgabe der Benin-Bronzen verdichtet sich schließlich die ebenfalls im direkten Konnex zum Kaiserreich stehende Metadiskussion nach Recht und Unrecht des Kolonialismus. Wer in der Kolonialherrschaft, also der rassistisch legitimierten und in aller Regel gewaltsam betriebenen Ausbeutung ganzer Kontinente selbst heute noch kein abzulehnendes Gesellschaftsmodell erkennen mag, tut sich auch mit der Rückgabe geraubter Artefakte entweder schwer oder lehnt sie sogar vollständig ab.
Die sowohl mit der „Hohenzollern-Debatte“ wie eben auch mit der Frage der Rückgabe der Benin-Bronzen verknüpften Globalfragen geben im Ergebnis Aufschluss darüber, weshalb eine einzelne Entscheidung der nigerianischen Regierung über eine im Kern doch recht technische Frage wie der Zuordnung des Eigentums an beweglichen Kulturgütern im fernen Europa ein kulturpolitisches Beben auszulösen vermag. Statt aber in Zukunft erneut über jedes Stöckchen vermeintlicher Skandale zu springen, ist es zielführender den hinter beiden Phänomenen stehenden Fragen mehr Debattenraum einzuräumen. Die Faust’sche Frage – Nun sag’, wie hast du’s mit Kaiserreich und Kolonialismus? – mag hierfür womöglich eine gute Richtschnur bieten.
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Autor: Orlowski, Frederik: Nun sag’, wie hast du’s mit Kaiserreich und Kolonialismus?: Über Parallelen und Brüche in der Debatte um die Rückgabe der Benin-Bronzen und den Streit um Ausgleichsleistungen an das „Haus Hohenzollern“, VerfBlog, 2023/5/13, https://verfassungsblog.de/nun-sag-wie-hast-dus-mit-kaiserreich-und-kolonialismus/, als Open Access | CC BY-SA | DOI: 10.17176/20230513-181751-0.
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