Der Frauenfussball-Boom
– Gründe, Chancen, Ausblick
Frauenfußball: Stand und Perspektiven eines (lange) vernachlässigten Sports
Der lange Zeit von Medien und Öffentlichkeit wenig beachtete Frauenfußball erlebt momentan einen regelrechten Boom. Aus diesem Anlass wird ein genauerer Blick auf den Stand sowie die Perspektiven des Frauenfußballs geworfen, bevor die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit vor und während der Weltmeisterschaft im Sommer 2023 wieder deutlich zunehmen wird.
Der lange kaum beachtete Frauenfußball gewinnt immer mehr Aufmerksamkeit: Die Nationalmannschaft erreichte im Sommer 2022 unerwartet das Endspiel der Europameisterschaft. Daraufhin stiegen die Zuschauerzahlen der ersten Bundesliga in der Saison 2022/2023 deutlich und überschritten bereits während der Hinrunde den langjährigen Durchschnitt. Ein neuer, wesentlich aufgestockter Medienvertrag intensiviert die Vermarktung der Medienrechte und vervielfacht die Lizenzeinnahmen. Inzwischen werden alle Bundesligaspiele live übertragen. Auch das Interesse der Print- sowie vor allem der Onlinemedien nimmt zu. Erträge und Aufwand der Liga steigen seit Jahren und erreichen Höchststände (Keller, 2023).
Ein kurzer Blick zurück
Die Geschichte des Frauenfußballs, die bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreicht, war durch mehrfache Unterbrechungen infolge von Kriegen und NS-Zeit gekennzeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war ein zentrales Hindernis der Entwicklung das vom Deutschen Fußballbund (DFB) 1955 einstimmig verhängte, bis 1970 aufrechterhaltene Verbot von „Damenfußballspielen“. Die Vereine durften ihre Anlagen nicht zur Verfügung stellen, sodass offizielle Spiele nicht stattfinden konnten; es gab lediglich in einigen Regionen inoffizielle Ligen. Erst als in Zeiten politischen und gesellschaftlichen Wandels verstärkt Forderungen nach Gleichbehandlung und bis dato geltende Rollenbilder infrage gestellt wurden, hob der DFB das Verbot offiziell auf. Zudem war die Drohung mit der Gründung eines eigenen Verbandes durchaus glaubhaft. Zum Vergleich: Die Bundesliga der Männer nahm 1963 ihren Spielbetrieb auf.
Damit begann eine lange Übergangsphase, in der nach wie vor etliche Auflagen bestanden (unter anderem Spieldauer, Ballgröße, Winterpause). Nur mit Verzögerung erfolgte eine Institutionalisierung des Spielbetriebs, der unter reinen Amateurbedingungen mit Ligen auf ausschließlich regionaler Ebene stattfand. Die Spitzenmannschaften ermittelten nach der regulären Punkterunde in einer Endrunde mit Hin- und Rückspielen den Meister. Kleine, aus dem heutigen professionalisierten Spielbetrieb längst ausgeschiedene „Traditionsvereine“ dominierten den nationalen Wettbewerb (wie TSV Siegen, SSG 09 Bergisch-Gladbach). Das Interesse der damaligen Lizenzvereine war gering bzw. nicht vorhanden.
Das erste Pokalfinale fand erst am Ende der Saison 1980/1981 statt – und wurde viele Jahre vor dem der Männer ausgetragen. Die Nationalmannschaft wurde erst 1982 offiziell gegründet. Sie war nach Anfangsschwierigkeiten erfolgreich und gewann in der „goldenen Ära“ der 1990er und 2000er Jahre etliche Titel bei internationalen Turnieren (Europa- und Weltmeisterschaft) sowie Medaillen bei Olympischen Spielen. Danach verpasste sie bei zunehmender Konkurrenz des internationalen Wettbewerbs die Teilnahme an mehreren großen Turnieren.
Anfänge der Professionalisierung
Erst in den 1990er Jahren erfolgte die Gründung einer zunächst zwei- (1990), später eingleisigen Bundesliga (1997) mit nach wie vor nur zwölf Vereinen. Die zweite Bundesliga, die in den hierarchisch organisierten Ligenstrukturen mit der ersten durch Auf- und Abstiege verbunden ist, folgte erst in der Saison 2004/2005. Diese allmähliche Zentralisierung des Spielbetriebs erwies sich im Zeitverlauf als stabil und verbesserte die Qualität (Athletik, Technik, Taktik, Tempo). Sie markierte eine wichtige Etappe auf dem langen Weg zur inzwischen erreichten (Teil-)Professionalisierung.
Die Spielerinnen waren nach wie vor reine Amateure, die ihren Lebensunterhalt durch nicht-sportliche Tätigkeiten bestreiten mussten. Auch die infrastrukturellen Voraussetzungen des Spielbetriebs, wie Trainingsgelegenheiten in Bezug auf Zeiten und Plätze, Ausstattung und Partizipation an sportlicher und finanzieller Expertise, medizinische Betreuung, verbesserten sich nur allmählich und beeinträchtigten die Leistungsfähigkeit. Vereinsführung und -management erfolgten nach wie vor ehrenamtlich. Weiterhin dominierten kleinere Vereine (1. FFC Frankfurt, Turbine Potsdam).
Fortschreitende Kommerzialisierung
Seit Anfang der 2010er Jahre haben sich die Wettbewerbs- und Konkurrenzbedingungen deutlich verändert (Meier, 2021). Der Grund der Verschiebung des Wettbewerbsgleichgewichts ist die Tatsache, dass einige große Lizenzvereine des Männerfußballs, zunächst vor allem VfL Wolfsburg und Bayern München, relativ früh brachliegende Potenziale erkannten und in ihre Frauenmannschaften investierten. Die Konsequenz dieser Quersubventionierung ist, dass ihre Mannschaften seit Jahren die Bundesliga dominieren, sodass der Konzentrationsgrad durch „Serienmeisterschaften“, ähnlich wie im Männerfußball, zunimmt. Die für einen für Medien und Zuschauer attraktiven Wettbewerb notwendige Ungewissheit über den Spielausgang, die weithin als das Paradigma der Sportökonomie gilt, ist (meistens) nicht mehr gegeben.
Diese Mannschaften sind auch im derzeit einzigen internationalen Wettbewerb, der Women’s Champions League (WCL), erfolgreich, die inzwischen nach einer grundlegenden Umstrukturierung des Austragungsmodus den Organisationsprinzipien der Champions League der Männer sehr ähnlich – und auf die Erzielung höherer Erträge ausgerichtet ist. Mit der Teilnahme sind erhebliche Einnahmen verbunden: Allein die Gruppenphase garantiert Einnahmen in Höhe von 400.000 Euro, ein Betrag, der über den Einnahmen aus der Vermarktung der nationalen Liga liegt. Die Folgen reichen über die WCL hinaus, da sie auch die Wettbewerbsfähigkeit in der Bundesliga weiter verändern.
Die anderen Lizenzvereine geraten unter informellen Druck von Mitgliedern, weiteren Stakeholdern, einigen Medien und Teilen der Öffentlichkeit. Sie ziehen – mit unterschiedlicher Intensität und zu verschiedenen Zeitpunkten – nach, sodass inzwischen sämtliche Lizenzvereine auch Frauenmannschaften haben. Das mittel- bzw. langfristige Ziel dieser „strategischen Diversifikation“ der Nachzügler ist der Aufstieg, wenn nicht sogar der Durchmarsch, aus den niedrigeren Ligen bis in die Bundesliga. Der für die Zielerreichung notwendige finanzielle Aufwand steigt für die Nachzügler im Vergleich zu dem der Vorreiter, die nach wie vor von ihrem First Mover Advantage infolge längerer Erfahrung und Know-how profitieren.
Konsequenzen
Eine Folge der Entwicklung vom traditionellen Vereins- zum aktuellen Investorenmodell ist, dass immer weniger reine Frauenvereine in der Bundesliga vertreten sind. In der Saison 2022/2023 ist dies nur noch SGS Essen (wenn man von Turbine Potsdam absieht, die noch einen Kooperationsvertrag mit Hertha BSC Berlin hat). Zwei einfache Vergleiche dokumentieren die Geschwindigkeit dieses eingetretenen Verdrängungswettbewerbs (vgl. Abbildung 1): In den Spielzeiten 2010/2011 bis 2012/2013 gab es nur fünf Frauenmannschaften von Lizenzvereinen in der Bundesliga. In der Saison 2022/2023 sind nur noch zwei Gründungsmitglieder dabei (FSV Frankfurt/1. FFC Frankfurt, inzwischen Eintracht Frankfurt und Turbine Potsdam). Es ist davon auszugehen, dass diese Verdrängungseffekte dauerhaft sein und zu einer Zementierung führen werden: Die Bundesliga der Frauen wird in ihrer Zusammensetzung mehr und mehr zu einem Abbild der Bundesliga der Männer.
Abbildung 1
Zahl der Frauenmannschaften von Lizenzvereinen in der 1. Frauen-Bundesliga
Quelle: DFB.
Die reinen Frauenvereine haben zunehmend Schwierigkeiten, im Wettbewerb der „Mehr-Klassen-Liga“ mitzuhalten. Als notwendige Voraussetzung des autonomen Überlebens erweist sich eine strategisch-langfristig angelegte Kaderplanung durch geschicktes Scouting im Kampf um Talente, sportliche und schulische Ausbildung junger, talentierter Nachwuchsspielerinnen, früher Einsatz in den Bundesligamannschaften sowie späterer Transfer zu finanzstarken Lizenzvereinen. Andere, mehrfach gewählte Auswege aus diesem Dilemma sind der Abschluss von Kooperationsabkommen mit Lizenzvereinen (unter anderem VFB Stuttgart, Mainz 05) oder die Aufgabe der Selbstständigkeit durch Zusammenschluss mit oder genauer Anschluss an einen Lizenzverein als dessen Frauenabteilung (früher unter anderem FCR Duisburg, später 1. FFC Frankfurt). Dabei handelt es sich in der Terminologie des Finanzwesens eher um Acquistions als um Mergers – oder umgangssprachlich eher um Zweckehen als um Liebesheiraten.
Der Arbeitsmarkt des Frauenfußballs ist keinesfalls homogen, sondern hochgradig segmentiert. Nach wie vor sind nur Spielerinnen der wenigen Spitzenvereine Vollprofis, die sich ausschließlich auf die Ausübung ihres Sports konzentrieren können. Die Mehrzahl geht nach wie vor auch anderen Tätigkeiten nach (Ausbildung, Studium, Berufstätigkeit), sodass „duale“ Karrieren mit Problemen der Vereinbarkeit die Regel sind. Die in arbeitsökonomischer Perspektive zu erwartenden Rates of Return sind – bei hohen Opportunitätskosten anstatt alternativer Zeitverwendung – nach wie vor gering. Diese Verteilung hat Konsequenzen sowohl für die individuelle und mannschaftliche Leistungsfähigkeit als auch für die Positionierung in der Bundesliga. In jüngster Zeit werden in Anbetracht der eklatanten Unterschiede der finanziellen Voraussetzungen bzw. des Gender Pay Gap zwischen Männer- und Frauenfußball wiederholt Forderungen nach Equal Pay bzw. weitergehendem Equal Play erhoben. Sie beziehen sich faktisch vor allem auf die Nationalmannschaft und wären nur durch Umverteilung zu erreichen. Die inzwischen in einigen Ländern, wie Niederlande, Norwegen und Spanien, getroffenen Regelungen können als Vorbilder dienen.
Wirtschaftliche Voraussetzungen
Die Einnahmen der Vereine resultieren aus Verkäufen von Tickets, Erlösen aus medialer Vermarktung und Leistungen von Sponsoren. Die Erlöse aus Ticketverkäufen sind aufgrund günstiger Eintrittspreise gering und machen nur einen geringen einstelligen Anteil an den Gesamteinnahmen aus. Allerdings stoßen die Zuschauerzahlen auf großes mediales und öffentliches Interesse. Sie waren stets niedrig und nahmen in den 2010er Jahren trotz zunehmender öffentlicher Aufmerksamkeit nicht deutlich zu (vgl. Abbildung 2). Von wenigen Spielzeiten abgesehen lag ihre Zahl jeweils bei weniger als 1.000 pro Spiel. In der Saison 2021/2022 erreichten nur drei Spitzenvereine die Grenze von 1.000, andere nur einige 100. Die in den Medien wiederholt genannten, ungewöhnlich hohen Zuschauerzahlen bei Großveranstaltungen wie EM oder WM oder einigen nationalen Spitzenspielen, die inzwischen gelegentlich in großen Stadien stattfinden, können nicht über das grundlegende Problem anhaltend geringer Zuschauerresonanz des Ligabetriebs hinwegtäuschen. Erst in der Saison 2022/2023 ist ein deutlicher Aufwärtstrend festzustellen, wobei jedoch abzuwarten bleibt, ob diese Entwicklung zum breiten Zuschauersport tatsächlich anhalten und nachhaltig sein wird. Der Beitrag zur Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist wichtiger als der für die Vereinsetats.
Abbildung 2
Zuschauerzahl pro Spiel
Ab dem 17. Spieltag der Saison 2019/2020 waren bis zum Saisonende keine Zuschauer:innen in den Stadien mehr zugelassen. 2020/2021: Corona-Saison.
Quelle: FIFPRO, DFB.
Die Etats der Vereine nehmen in den vergangenen Jahren zu und erreichen in der Saison 2021/2022 ihren historischen Höchststand, wobei dieser Aufwärtstrend allerdings von einem niedrigen Niveau ausgeht (vgl. Tabelle 1). Durch das Wachstum der saisonbezogenen Gesamterträge schreitet die Kommerzialisierung allmählich voran. Die offiziellen Daten liegen nur in aggregierter Form vor, sodass detaillierte Rückschlüsse auf einzelne Vereine nicht möglich sind.
Bei der insgesamt positiven „Entwicklung des Saisonergebnisses“ bestehen jedoch erhebliche, sogar zunehmende Abstände zwischen den Vereinen, deren Etats von ca. einer bis zu mehreren Mio. Euro reichen. Diese finanziellen Unterschiede führen zu stärkeren sportlichen Ungleichgewichten. Differenzen bestehen vor allem zwischen den beiden genannten Gruppen: Lizenzvereine weisen regelmäßig höhere Defizite auf, Frauenvereine deutlich geringere oder sogar leicht positives Eigenkapital. Die Lizenzvereine gleichen die Fehlbeträge durch Unterstützungsleistungen aus und verhindern dadurch generelle Liquiditätsprobleme. Sie sind im Rahmen ihrer geänderten Geschäftsmodelle nicht an kurzfristigen Investitionsrendite interessiert, sondern versprechen sich aus ihren langfristigen Investitionen vor allem Imagepflege bzw. -gewinn und Marketingnutzen.
Tabelle 1
Erträge und Aufwendungen Saison 2017/18 – 2021/22
in Mio Euro
Saison | Gesamterträge pro Verein | Gesamtaufwendungen pro Verein | Gesamtertrag der Liga |
---|---|---|---|
2017/2018 | 1,0 | 1,9 | 12 |
2018/2019 | 1,0 | 2,0 | 12 |
2019/2020 | 1,2 | 2,1 | 13,5 |
2020/2021 | 1,3 | 2,5 | 15 |
2021/2022 | 1,4 | 2,9 | 17 |
Quelle: DFB.
Einerseits nehmen die finanziellen Unterstützungsleistungen in den vergangenen Jahren sogar zu, gemessen in absoluten Beträgen auf durchschnittlich 1,5 Mio. Euro pro Verein. Andererseits sind sie, wenn man sie als Anteil an den Bilanzsummen bzw. Gesamtetats der Lizenzvereine in zwei- oder sogar dreistelliger Millionenhöhe misst, nach wie vor nicht sonderlich hoch. Den größten Anteil an den Ausgaben, welche die Einnahmen in jeder Saison übersteigen und Höchstwerte erreichen, hat mit über 50 % der „Personalaufwand Spielbetrieb“. Zu einer wichtigen Determinante der Etats entwickeln sich die Erlöse aus dem Verkauf der lukrativen, inländischen audiovisuellen Medienrechte an eine Reihe von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern nach der No-single Buyer Rule. Der 2022 geschlossene, erstmals eigenständige Medienvertrag für die Spielzeiten 2023/2024 bis 2026/2027 intensiviert die Vermarktung und vervielfacht die Zahlungen auf 5,17 Mio Euro pro Saison.
Von Bedeutung für die weitere Entwicklung ist die von den DFB-Gremien vorgenommene Verteilung dieser höheren Lizenzeinnahmen auf die einzelnen Vereine. Im diesem traditionellen Spannungsfeld sind, wie der Männerfußball zeigt, unterschiedliche Regelungen möglich, die von Gleichverteilung bzw. Gleichbehandlung aller Vereine bis zu massiver Bevorteilung einzelner Vereine nach Leistungs- und/oder Erfolgskriterien reichen. Die Folgen sind entweder ein gewisser Ausgleich der derzeit gegebenen Chancenungleichheit oder deren Verstärkung. Die DFB-Gremien entschieden sich für die solidarische Gleichverteilung – und damit eine tendenzielle Verbesserung des Wettbewerbsgleichgewichts. Ausgeschlossen bleibt die zweite Bundesliga. Weiterhin eröffnet der neue Medienvertrag die Option, nicht nur die Erlöse zu steigern, sondern auch die Sichtbarkeit der Liga zu verbessern und ihren Bekanntheitsgrad bei weiteren Zielgruppen, unter anderem bei potenziellen Sponsoren, zu erhöhen. Freilich bleibt abzuwarten, ob Reichweiten bzw. Einschaltquoten tatsächlich über das aktuell schmale Marktsegment deutlich hinausgehen werden. Der Anteil des Frauensports an der Sportberichterstattung liegt nach wie vor im einstelligen Prozentbereich, wobei der Frauenfußball keine Ausnahme ist.
Ausblick
Der aktuelle Stand lässt sich als Teil-Professionalisierung beschreiben. Der Frauenfußball hat sich dauerhaft etabliert und nachhaltig modernisiert, ohne allerdings gleichberechtigt mit dem Männerfußball zu sein (Pfister und Pope, 2018). Er bleibt aber auf absehbare Zeit auf externe Unterstützungsleistungen durch Verband und Vereine angewiesen, ehe eine autonome Entwicklung stattfinden kann. Ähnliche Trends lassen sich auch in anderen westeuropäischen Ländern beobachten (vor allem den anderen der Big Five, hauptsächlich England, aber auch Frankreich, Spanien und Italien).
Die weitere Entwicklung hängt unter anderem vom Abschneiden der Nationalmannschaft bei den großen internationalen Turnieren der nächsten Jahre (WM 2023, Olympische Spiele 2024, EM 2025) ab, die Folgen für das Ausmaß des Interesses von Medien, Öffentlichkeit und nicht nur aktuellen, sondern vor allem potenziellen Sponsoren haben werden. Falls die Mannschaft ähnlich erfolgreich agiert wie bei der EM im Sommer 2022, kann eine rasche, weiterhin positive Dynamik der Bundesliga, wenn nicht sogar ein Professionalisierungsschub, die Folge sein. Falls die Mannschaft nicht erfolgreich ist, wie bei dem frühen Ausscheiden bei der mit hohen Erwartungen verbundenen „Heim-WM“ 2011 im eigenen Land, wird die Entwicklung langsamer voranschreiten.
Hier wurde ausschließlich das schmale teil-professionalisierte Segment und nicht der gesamte Frauenfußball behandelt. Ein Problem seiner weiteren Entwicklung ist die deutliche Diskrepanz nicht nur innerhalb der ersten sowie zwischen erster und zweiter Bundesliga, sondern vor allem zwischen teil-professionalisiertem und reinem Breiten- bzw. Amateurbereich, dem notwendigen „Unterbau“. Von den 7 Mio. DFB-Mitgliedern sind nach offiziellen Angaben nur ca. 1 Mio. Frauen. Die Gesamtzahl der aktiven Spielerinnen (Frauen, Mädchen und Jugendliche) ist nach wie vor mit ca. 180.000 niedrig. Die Zahl der Aktiven bzw. Mannschaften nahm in den vergangenen Jahren sogar ab. Abzuwarten bleibt, ob die vom DFB projektierten Maßnahmen, wie veränderte Spiel- und Wettkampfformen bei Kindern und Jugendlichen, erfolgreich sein werden bei dem Versuch, mehr Nachwuchs zu gewinnen. Das Umfeld ist schwierig (unter anderem Konkurrenz durch andere, alte und neue Sportarten bzw. Freizeitalternativen, kleinere Alterskohorten, Folgen der COVID-19-Pandemie). Anders formuliert: Der Frauenfußball kann entweder (weiterhin) dem vom Männerfußballs vorgegebenen Benchmark folgen – und dadurch mit allen seinen Problemen konfrontiert werden – oder eine eigenständige, unabhängige Richtung einschlagen.
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Autor: Keller, B., „Frauenfußball: Stand und Perspektiven eines (lange) vernachlässigten Sports“, Wirtschaftsdienst 103. Jahrgang, 2023 (6), S. 420-423, als Open Access | CC BY 4.0 | DOI: 10.2478/wd-2023-0120
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