Für und Wider der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel

Die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel ist überfällig

Der Bundesrat hat im März 2024 dem Gesetzentwurf zum schrittweisen Abbau der Agrardieselsubventionen zugestimmt. Angesichts der asymmetrischen Bedeutung der Landwirtschaft für Wirtschaft und Klima aufgrund einer relativ geringen Bruttowertschöpfung bei gleichzeitig hohen Treibhausgasemissionen erscheint dieser Schritt längst überfällig. Zudem lassen sich weitere Argumente anführen, die Subventionen in der Landwirtschaft kritikwürdig machen.

Ende 2023 hat die Bundesregierung angekündigt, die in § 57 des Energie­steuer­gesetzes geregelte Steuerbegünstigung von Dieselkraftstoff in der Land- und Forstwirtschaft abzuschaffen. Bislang wurde Agrardiesel je Liter mit einem Steuersatz von 25,56 Cent um 21,48 Cent weniger belastet als herkömmlich verwendeter Diesel. Von März 2024 bis Ende 2024 wird Agrardiesel nur noch mit 12,89 Cent je Liter steuerbegünstigt, 2025 mit 6,44 Cent je Liter und danach gar nicht mehr. Nach vollständiger Abschaffung der Agrardieselbegünstigung werden jährlich Steuermehreinnahmen von rund 450 Mio. Euro erwartet.

Die Abschaffung der Agrardieselbegünstigung hat unter Landwirten erhebliche Proteste ausgelöst. Schenkt man den Verlautbarungen der Landwirtschaft glauben, so steht nicht nur die Existenz vieler landwirt­schaftlicher Betriebe auf dem Spiel. Auch eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln scheint gefährdet zu sein, wenn Land­wirte ihre Fahrzeuge und Landmaschinen nicht mehr steuer­­­begünstigt betreiben können. Die Bevölkerung unterstützt offenbar mehrheitlich die Anliegen der Landwirtschaft. Das legt jedenfalls eine vom Spiegel (2023) in Auftrag gegebene Umfrage nahe. Ist die steuerliche Begünstigung von Agrardiesel tatsächlich so gut begründet, wie die Landwirtschaft behauptet?

Die asymmetrische Bedeutung der Landwirtschaft für Wirtschaft und Klima

Zur Einordnung der Agrardieselbegünstigung hilft ein Blick auf die Bedeutung der Landwirtschaft für Wirtschaft und Klima. Diese lässt sich mithilfe zweier Kennzahlen charakterisieren: 2022 trug die Landwirtschaft in Deutschland 1 % zur Bruttowertschöpfung bei und 7,4 % zu den Treib­haus­gas(THG)-­Emis­sionen (CO2 Äquivalente). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kennzahlen die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft tendenziell über- und ihre Rolle als Emittent von THG unterschätzen. Trendmäßig ist der Bruttowertschöpfungsbeitrag der Landwirtschaft geringer als 1 %. Gegenüber 2021 ist die Bruttowertschöpfung in der Landwirtschaft 2022 nominal um 38 % gestiegen und damit erheblich stärker als die Bruttowert­schöpfung in Deutschland insgesamt. Ursächlich dafür waren deutliche Preissteiger­ungen für Agrarprodukte infolge des Angriffs Russlands auf die Ukraine. Beim Anteil der Landwirtschaft an den THG-Emissionen dagegen sind Emissionen aus mobiler und stationärer Verbrennung, also auch solche, die durch den Verbrauch von Agrardiesel entstehen, noch gar nicht enthalten.

Die beiden Kennzahlen verdeutlichen, dass die Bedeutung der Land­wirtschaft für Wirtschaft und Klima höchst asymmetrisch ist. Ein vergleichsweise geringer Wertschöpfungsbeitrag der Landwirtschaft geht Hand in Hand mit erheblichen THG-Emissionen. Deshalb ist es schon allein aus Klimaschutzgründen erstaunlich, dass der Verbrauch von Diesel­kraftstoff in der Landwirtschaft steuerbegünstigt ist. Dies gilt umso mehr, als die THG-Emissionen der Landwirtschaft, die nicht der mobilen oder stationären Verbrennung zuzurechnen sind, weder der nationalen noch der europäischen CO2-Bepreisung durch Emissionszertifikate unterliegen.

Wettbewerbsfähigkeit und Versorgungssicherheit

Die Steuerbegünstigung von Agrardiesel ist nicht nur aus Klima­schutz­gründen kritikwürdig. Im aktuellen Subventionsbericht der Bundesregierung wird die Klimaschädlichkeit der Steuerbegünstigung durchaus erwähnt. Ziel der Steuerbegünstigung sei aber die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen land- und forstwirtschaftlichen Betriebe (BMF, 2023). Inwiefern die bisherige Agrardieselbegünstigung einen Beitrag zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirt­schaft leistet, soll hier nicht weiter erörtert werden. Ordnungs­politisch ist es in jedem Fall problematisch, Wettbewerbsfähigkeit mit Subventionen erreichen zu wollen. Gesellschaftlich vorteilhaft ist Wettbewerbsfähigkeit, wenn sie sich aus komparativen Kostenvorteilen herleitet, nicht, wenn sie „herbeisubventioniert“ wird.

Laut Subventionsbericht soll die Steuerbegünstigung neben der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit auch der Aufrechterhaltung einer unabhängigen Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln dienen. Auch dieses Anliegen überzeugt nicht. Die quantitativ weitaus umfangreichere europäische Subventionierung der Landwirtschaft wird nämlich mit dem gleichen Ziel begründet. Zwar lässt sich das Ziel einer unabhängigen Versorgung auch auf europäischer Ebene kritisieren, denn für land­wirt­schaft­liche Produkte gibt es auf den Weltmärkten eine Vielzahl von Anbietern. Eine einseitige Abhängigkeit wie etwa bei Energie oder seltenen Rohstoffen ist kaum zu befürchten. Angesichts einer teuer erkauften Versorgungssicherheit mit landwirtschaftlichen Produkten im europäischen Binnenmarkt sollte sich eine zusätzliche nationale Versorgungsstrategie aber in jedem Fall erübrigen.

Verteilungspolitische Argumente überzeugen nicht

Schließlich ist die Steuerbegünstigung für Dieselkraftstoff in der Landwirtschaft verteilungspolitisch problematisch. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Landwirte stützt sich nicht nur auf stark öffentlich alimentierte Einkommen. Die durch­schnitt­liche Vermögensposition landwirtschaftlicher Haushalte ist auch weitaus besser als die durchschnittliche Vermögensposition von Haushalten außerhalb der Landwirtschaft. Die Steuerbegünstigung von Agrardiesel löst deshalb degressiv wirkende Verteilungseffekte aus. An diesem Befund ändern auch die in der Presse gelegentlich kolportierten Berichte von Landwirten nichts, die vermeintlich geringe Einkommen auf gepachteten Flächen erwirtschaften. Diese Gruppe von Landwirten profitiert vermutlich am wenigsten von der Steuerbegünstigung, da sie in hohem Maße kapitalisiert werden dürfte, sprich zu höheren Preisen für landwirtschaftliche Böden und Pachten führt. Nutznießer der Steuerbegünstigung sind wegen der Kapitalisierung vor allem vermögende Landbesitzer. Die Situation wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Landwirte ließe sich mit anderen Maßnahmen deutlich zielgenauer verbessern. Freilich wird auch diese Gruppe im kaum überschaubaren Sammelsurium an Subventionen für die Landwirtschaft bedacht, z. B. mit der aus dem EU-Haushalt finanzierten Umverteilungsprämie, die Landwirte mit geringerem Landvermögen zusätzlich zu den anderen Flächenprämien erhalten.

Anpassung schwierig?

Nun weisen Vertreter der Landwirtschaft darauf hin, dass ein höherer Preis für Diesel landwirtschaftliche Betriebe besonders hart treffe, weil sie nicht auf andere Antriebe, z. B. Elektroantriebe, ausweichen können. Ein­sparun­gen durch eine Anpassung der Produktionsprozesse und sparsamere Verbrennungsmotoren sind aber durchaus möglich. Wenn solche Anpassungen bislang nicht vorgenommen wurden, so auch deshalb, weil der vergünstigte Diesel dazu keinen ausreichenden Anreiz gegeben hat. Zwar dürften solche Anpassungen Zeit benötigen und insofern ist die Kurzfristigkeit, mit der die Bundesregierung die Rücknahme der Agrardieselbegünstigung auf die Agenda gesetzt hat, in der Tat kritikwürdig. Allerdings läuft die Steuerbegünstigung zeitlich gestreckt aus, sodass Anpassungen durchaus ermöglicht werden. Warum im Übrigen ausgerechnet die Landwirtschaft von Prozessen der Klimatransformation ausgenommen werden sollte, denen alle anderen Sektoren unterliegen, erschließt sich nicht. Im Gegenteil: Angesichts der geringen wirtschaftlichen Bedeutung der Landwirtschaft einerseits und ihrer erheblichen Bedeutung als Emittent von THG andererseits, sind Beiträge der Landwirtschaft zum Klimaschutz zu vergleichsweise geringen Opportunitätskosten möglich.

Polit-ökonomische Perspektive

Insgesamt lässt sich die Steuerbegünstigung von Dieselkraftstoff in der Landwirtschaft ökonomisch nur schwer begründen. Ihre Existenz dürfte sich eher polit-ökonomisch erklären lassen. Gemäß der Interessengruppen­theorie sind besonders jene Gruppen erfolgreich, die die Interessen einer vergleichsweise homogenen, organisatorisch und institutionell gut ver­netz­ten Gemeinschaft vertreten. Die Landwirtschaft erfüllt diese Bedingungen in geradezu idealtypischer Weise.3 Zur erfolgreichen Interessenvertretung gehört, dass Partikularinteressen in ein Gewand gekleidet werden, das sie gesellschaftlich besonders wünschenswert erscheinen lässt. Die Landwirte und ihre Interessenvertreter werden deshalb nicht müde, neben der Versorgungssicherheit auf die Vorzüge regionaler Produkte und ihre Bedeutung für den Erhalt gewachsener Kulturlandschaften hinzuweisen.

Man muss der Landwirtschaft zubilligen, dass sie eine äußerst wirksame Interessenpolitik betreibt. Besonders geschickt war es, den Großteil der Agrarsubventionen in den europäischen Haushalt zu verlagern. Dort gibt es im Unterschied zur nationalen Politik bis heute keine wirksame politische Opposition. Ein Großteil der Agrarsubventionen ist damit der öffentlichen Willensbildung praktisch entzogen. Umso besser kann die Landwirtschaft ihre polit-ökonomischen Energien jenen Subventionen zuwenden, die sie aus nationalen Haushalten erhält.

Zwar könnte man meinen, dass die Landwirtschaft mit abnehmender wirtschaftlicher Bedeutung auch politisch an Einfluss verliert. Aber das Gegenteil ist der Fall. Je kleiner der Agrarsektor, desto einfacher ist es für Landwirte, sich zu organisieren und Einfluss auf die Politik zu nehmen. In der entwicklungsökonomischen Literatur wird dieses Phänomen als Development Paradox bezeichnet.

Die Bundesregierung hat diesen Zusammenhang bei der Ankündigung des Plans, die Agrar­diesel­be­günstigung zurückzunehmen, nicht ausreichend berücksichtigt. Hätte sie die Ankündigung nicht im Winter gemacht, sondern zur Erntezeit, wäre es den Landwirten schwerer gefallen, sich zu gemeinsamen Protestaktionen zu versammeln. Zwar war die Ankündigung der Notwendigkeit geschuldet, angesichts des Haushaltsurteils des Verfassungsgerichts im November 2023 kurzfristig zusätzliche Haus­halts­mittel zu generieren. Aber dafür ist die Rücknahme der Agrar­diesel­begünstigung nicht sonderlich geeignet. Die Begünstigung erfolgt nachgelagert, sprich als Rückerstattung im nachfolgenden Jahr. Zusätzliche Haushaltsmittel entstehen deshalb ohnehin erst ab 2025. An der Einschätzung, dass die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel insgesamt überfällig war, ändert das nichts. Nur hätte sie besser ins Werk gesetzt werden können.
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Autor: Wigger, B. U., „Die Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von Agrardiesel ist überfällig“, Wirtschaftsdienst, 104. Jahrgang., Heft 4, 2024, Seite 280-282, Anmerkungen und Literaturverweise siehe dort, als Open Access | CC BY 4.0 | DOI: 10.2478/wd-2024-0074

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