Selbstbestimmungsgesetz:
m – w – d – oder „kein Eintrag“

Und plötzlich selbstbestimmt –
Zum endlich verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz

Der Bundestag hat das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) beschlossen. Endlich – denn nach der Ankündigung im Koalitionsvertrag und diversen vieldiskutierten Entwürfen war zuletzt über Monate unklar, was politisch hinter den Kulissen eigentlich geschieht, insbesondere wann (und ob) der Gesetzesentwurf zur finalen Abstimmung kommt. Letzten Freitag ging es dann aber doch ganz schnell: 2. und 3 Beratung des Gesetzesentwurfs, Redebeiträge, namentliche Abstimmung, 372 Stimmen dafür, 251 Stimmen dagegen, 11 Enthaltungen. „Der Gesetzesentwurf ist damit angenommen“, konnte Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuzes um 15.06 Uhr verkünden. Applaus und stehende Ovationen im Parlament folgten. Das verabschiedete Gesetz kann – und muss – in Einzelfragen kritisiert werden, ein historischer Moment für trans, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen in Deutschland war das aber allemal.

Korrektur beim Standesamt für alle

Das Selbstbestimmungsgesetz führt ein neues Verfahren ein, in dem Geschlechtseintrag im Geburtenregister und Vornamen durch die Abgabe einer Erklärung vor dem Standesamt korrigiert werden können. Anders als im bisherigen Verfahren nach dem sogenannten Transsexuellengesetz (TSG) braucht es also insbesondere kein Gerichtsverfahren und keine Sachverständigengutachten als „Beweis“ mehr, um Geschlechtseintrag und Vornamen korrigieren und daraufhin Dokumente mit korrekten Daten erhalten zu können. Dies macht die Korrektur für trans Personen nicht nur wesentlich schneller und günstiger, sondern vor allem diskriminierungssensibler. Gerade die Begutachtungssituation barg nämlich ein enormes Diskriminierungsrisiko. Dieses realisierte sich häufig in Form von unsachgemäßen und grenzüberschreitenden Fragen etwa nach Masturbationsvorlieben, der Unterwäsche oder sexuellem Missbrauch in der Kindheit oder in unwissenschaftlichen „Tests“, um das Geschlecht der begutachteten Person festzustellen.

Zwar gab es auch bisher die Möglichkeit, Geschlechtseintrag und Vornamen beim Standesamt im Verfahren nach § 45b Abs. 1 PStG korrigieren zu lassen. Dies war aber Menschen vorbehalten, die eine ärztliche Bescheinigung über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorlegen konnten, also insbesondere intergeschlechtlichen Personen. Der Anwendungsbereich von § 45b Abs. 1 PStG war seit seiner Einführung im Jahr 2018 hochumstritten, die Rechtspraxis bei den Standesämtern häufig von Komplikationen und Misstrauen geprägt. Ärztliche Bescheinigungen müssen mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes nicht mehr vorgelegt werden.

Erklärung, Anmeldezeit und Sperrfrist

Erforderlich ist künftig allein, dass eine Person gegenüber dem Standesamt erklärt, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere Angabe ersetzt oder gestrichen werden soll (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SBGG). Möglich sind wie bisher die vier in § 22 Abs. 3 PStG genannten Optionen: „männlich“, „weiblich“, „divers“ oder Offenlassen des Geschlechtseintrags. Zusätzlich muss die Person versichern, dass der gewählte Geschlechtseintrag beziehungsweise dessen Streichung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht und ihr die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst sind (§ 2 Abs. 2 SBGG). Die Korrektur muss drei Monate vor dieser Erklärung beim Standesamt angemeldet werden (§ 4 SBGG). Geschlechtseintrag und Vornamen können grundsätzlich auch mehrmals korrigiert werden, etwa zunächst von „männlich“ zu „weiblich“ und sodann von „weiblich“ zu „divers“. Allerdings besteht nach der Abgabe der Erklärung eine sogenannte Sperrfrist von einem Jahr, während der keine erneute Korrektur erfolgen kann (§ 5 Abs. 1 SBGG).

Auch Minderjährige können das neue Verfahren nach dem Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen, eine Altersgrenze gibt es nicht. Allerdings müssen für Minderjährige bis 14 Jahren die gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung abgeben (§ 3 Abs. 2 SBGG). Gleiches gilt für Geschäftsunfähige. 14- bis 17-Jährige geben die Erklärung vor dem Standesamt selbst ab, bedürfen aber der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen (§ 3 Abs. 1 SBGG). Wird diese verweigert, kann die Zustimmung vom Familiengericht ersetzt werden.

Geschlechtliche Selbstbestimmung als Grundrecht

Die beschriebenen Reformen sind aus verfassungsrechtlicher Perspektive konsequent. Das Bundesverfassungsgericht betont seit über vier Jahrzehnten, dass als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) auch das Recht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen Identität verfassungsrechtlich geschützt ist. Daraus folgt insbesondere, dass es für jede Person die Möglichkeit geben muss, einen Geschlechtseintrag zu haben, der ihrer geschlechtlichen Identität entspricht. Allerdings hebt das Bundesverfassungsgericht im „Dritte Option“-Beschluss auch ausdrücklich hervor, dass es verfassungsrechtlich zulässig wäre, komplett auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten. Eingriffe in das Grundrecht auf Finden und Anerkennung der geschlechtlichen Identität sind nur dann verhältnismäßig, wenn einer Korrektur keine unzumutbaren Hürden entgegenstehen. Genau solche Hürden stellte das TSG in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1980 jedoch auf. Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Gesetz in insgesamt 11 Entscheidungen nahezu vollständig für verfassungswidrig, so dass vom TSG heute nur noch ein Gesetzesgerippe übrig ist.

Doch verfassungsrechtliche Kritik gab es auch an diesem Gerippe zur Genüge. So ist zum einen fraglich, ob es für die verbliebenen Voraussetzungen eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung gibt. Zum anderen stößt auf erhebliche gleichheitsrechtliche Bedenken, dass es verschiedene Verfahren mit unterschiedlich hohen Hürden für trans Männer und Frauen (TSG-Verfahren), intergeschlechtliche Personen (Verfahren nach § 45b Abs. 1 PStG) und nicht-binäre Menschen (TSG-Verfahren in analoger Anwendung) gibt. Beide Kritiklinien wurden in einer seit 2020 anhängigen Verfassungsbeschwerde aufgegriffen, dürften sich jedoch nun mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes erledigt haben.

Last-minute-Verbesserungen

Das nun verabschiedete Gesetz setzt in einigen Punkten Kritik um, die es am Regierungsentwurf gab. So wurde insbesondere § 13 Abs. 5 SBGG-E komplett aus dem Gesetzestext gestrichen. Die Norm sah vor, dass die Meldebehörden jede Korrektur von Geschlechtseintrag und Vorname automatisiert und anlasslos an eine Vielzahl von Sicherheitsbehörden weiterleiten sollten, etwa an den Verfassungsschutz, die Bundespolizei und den militärischen Abschirmdienst. Die deutliche Kritik – unter anderem als „Ausdruck einer eklatanten Missachtung der Grundrechte queerer Menschen“ sowie aus datenschutzrechtlicher Perspektive als „systemfremd“ – führte nun zu einem Umdenken. Auch das bisher als zu lasch kritisierte Offenbarungsverbot wurde punktuell nachgeschärft.

Ebenso wurde bei der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung nachgebessert und § 11 Abs. 1 SBGG um ein Wahlrecht darüber ergänzt, ob bei der Zuordnung der zweiten Elternstelle das rechtliche Geschlecht vor Abgabe der Erklärung maßgeblich sein soll. So kann auch eine trans Frau, deren Geschlechtseintrag korrigiert wurde, im Verhältnis zu ihrem Kind rechtlich „Vater“ und „der Mann“ im Sinne von § 1592 BGB Nr. 1 und 2 BGB sein, um ihrem Kind rechtlich zugeordnet werden zu können. Diese Hilfskonstruktion – in Form von Misgendering – macht offenbar, dass das eigentliche Problem an anderer Stelle liegt, nämlich im BGB. Die §§ 1591, 1592 BGB sehen vor, dass ausschließlich Frauen Mütter auf der ersten Elternstelle, ausschließlich Männer Väter auf der zweiten Elternstelle sein können. Der Reformbedarf bei der Eltern-Kind-Zuordnung ist für queere Familien in verschiedenen Konstellationen daher elementar, versierte Vorschläge liegen bereits vor. Insbesondere ist auch für Zwei-Mütter-Familien eine automatische Zuordnung der zweiten Mutter nach der Geburt noch immer nicht möglich. Neben dem Selbstbestimmungsgesetz ist die Reform der Eltern-Kind-Zuordnung ein weiteres zentrales familien- und queerpolitisches Vorhaben der Ampel-Regierung, dessen Umsetzung sie nun immerhin in einem Eckpunktepapier angekündigt hat (zur Kritik daran hier, und was das BVerfG-Urteil zur Vaterschaftsanfechtung dafür bedeutet hier).

Biologismus durch die Hintertür

Die Regelungen zum Passrecht wurden ebenfalls als unzureichend kritisiert, allerdings im verabschiedeten Gesetz nur halbherzig verbessert. Bisher konnten Menschen, die ihren Geschlechtseintrag im Verfahren nach § 45b Abs. 1 PStG korrigiert hatten, auch einen Reisepass mit einer binären Geschlechtsangabe erhalten (§ 4 Abs. 1 S. 6 PaßG), um Schwierigkeiten beim Grenzübertritt entgegenzuwirken. Diese Möglichkeit fehlte im Regierungsentwurf komplett. Im verabschiedeten Gesetzestext ist sie nun zwar wieder enthalten, allerdings nur, wenn die Person eine ärztliche Bescheinigung über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorlegen kann. Warum diese Personen beim Grenzübertritt schutzwürdiger sein sollen als (andere) nicht binäre Personen, ist nicht nachzuvollziehen. Ein solcher biologischer Essentialismus, also die Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von nicht binären Personen durch Betonung ihrer Körperlichkeit, lag auch der bisherigen Spaltung in verschiedene Verfahrensarten zugrunde: Während intergeschlechtliche Personen das Verfahren nach § 45b Abs. 1 PStG in Anspruch nehmen konnten, wurden nicht binäre Personen, die nicht auch intergeschlechtlich sind, vom Bundesgerichtshof auf eine analoge Anwendung des TSG-Verfahrens verwiesen. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz sollte diese gleichheitswidrige Teilung eigentlich abgeschafft werden. Im Passrecht kommt sie nun aber durch die Hintertür wieder herein.

Selbstbestimmung nicht für alle und nicht immer

Andere kritisierte Regelungen sind ebenfalls im Gesetzestext stehen geblieben. Das gilt insbesondere für die als menschenrechtswidrig kritisierte Regelung, die bestimmte Personen ohne Aufenthaltstitel vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausnimmt (§ 1 Abs. 3 SBGG).

Auch der rechtlich unsinnige sogenannte Hausrechts-Paragraph (§ 6 Abs. 2 SBGG) bleibt dem Selbstbestimmungsgesetz ebenso enthalten wie die Sonderregelung zum Spannungs- und Verteidigungsfall (§ 9 SBGG). Danach soll die Rechtswirkung einer im Spannungs- und Verteidigungsfall abgegebenen Erklärung ausgesetzt werden, wenn der Geschlechtseintrag vorher „männlich“ lautete, soweit es den Dienst mit der Waffe (Art. 12a GG) betrifft. An dieser Stelle sei noch einmal ganz deutlich gesagt: Trans Frauen sind selbstverständlich auch im Spannungs- und Verteidigungsfall Frauen ebenso wie nicht binäre Personen auch im Spannungs- und Vereidigungsfall nicht binär sind. Ihr Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung lässt sich nicht aussetzen.

Beide Regelungen spiegeln eine reaktionäre Diskursverschiebung, die den gesamten Gesetzgebungsprozess ebenso begleitete wie transfeindliche, insbesondere transmisogyne Narrative. Vor allem trans Frauen wurden als Eindringlinge in geschlechtergetrennte Räume dargestellt und als potenzielle Gefahr konstruiert. Vermeintliche Ängste oder Interessen der Mehrheitsbevölkerung standen weit stärker im Fokus als die Grundrechte derjenigen, die vom Selbstbestimmungsgesetz eigentlich adressiert werden sollen. Dass in diesem Diskurs dann auch noch das feministisch motivierte Anliegen des Gewaltschutzes instrumentalisiert wurde, um Hass gegen vulnerable Gruppen zu schüren, ist besonders perfide. Protest, der auf diese Missstände aufmerksam machte, formierte sich auch während der Abstimmung des Gesetzes vor dem Bundestag, unter anderem mit dem hervorragenden Slogan „Die Geschlechter denen, die drin wohnen“.

Was zu tun bleibt

Neben der Kritik an dem, was das Selbstbestimmungsgesetz regelt, lässt sich auch kritisieren, was das Gesetz nicht regelt. So gibt es weiterhin keinen gesetzlich festgeschriebenen Anspruch auf Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Behandlungen durch die gesetzlichen Krankenversicherer. Dies ist umso fataler, seit das Bundessozialgericht im Oktober letzten Jahres seine Rechtsprechung zu medizinischen Transitionsmaßnahmen aufgegeben hat, auf die sich Versicherte bisher stützen konnten. Aktuell existiert damit kein Anspruch auf Kostenübernahme mehr. Es ist daher dringend geboten, dass die Legislative hier – wie im Koalitionsvertrag versprochen – schnell tätig wird. Auch der ebenfalls im Koalitionsvertrag angekündigte Entschädigungsfonds für Menschen, die aufgrund der früheren Rechtslage im TSG von menschenrechtswidrigen Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen oder als intergeschlechtliche Kinder von geschlechtszuweisenden Operationen betroffen waren, wartet noch auf seine Umsetzung.

Die Kämpfe um Rechte und Anerkennung von trans, intergeschlechtlichen und nicht binären Menschen sind mit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes also nicht abgeschlossen. Ein großer Schritt ist dennoch getan: Wer zukünftig Geschlechtseintrag und Vornamen korrigieren will, muss keine teuren und zeitintensiven Gerichtsverfahren mehr führen und keine entwürdigenden Begutachtungen über sich ergehen lassen. Jede Person kann zukünftig für sich selbst entscheiden, welches Geschlecht, wenn überhaupt, der Staat beurkunden soll. Das Grundrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung wird endlich verwirklicht.

Am 1. November 2024 tritt das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft – trotz aller berechtigter Kritik ein Grund zum Feiern.
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Autorin: Roßbach, S.,  „Und plötzlich selbstbestimmt: Zum endlich verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz“, VerfBlog, 2024/4/17, https://verfassungsblog.de/und-plotzlich-selbstbestimmt/, Anmerkungen u. Verweise siehe dort, als Open Access | CC BY-SA | DOI: 10.59704/806c8fd5e2d5cde7

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