Die Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland
Einkommen und Vermögen sind in allen Gesellschaften ungleich verteilt. Das Ausmaß der Ungleichheit variiert jedoch stark im Laufe der Geschichte und zwischen Ländern. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung seit dem 19. Jahrhundert mit Fokus auf Deutschland.
Vermögen und Einkommen im Verhältnis
In Deutschland wie in anderen Industrieländern ist das Gesamtvermögen der Haushalte in den vergangenen Jahren schneller gewachsen als das Gesamteinkommen. Das zeigt die sogenannte Wealth-Income-Ratio, das Vermögen-Einkommen-Verhältnis, die erstmals von Piketty und Zucman (2014) für Industrieländer über das 20. Jahrhundert bis heute zusammengetragen wurde. Das Verhältnis kann auch als ein Maß für Ungleichheit interpretiert werden, da Vermögen meist konzentrierter ist als Einkommen. Das Vermögen-Einkommen-Verhältnis lag im Jahr 2018 bei ca. 600 % in Deutschland. Damit positioniert sich Deutschland heutzutage im Vergleich mit anderen westlichen Industrieländern am oberen Rand. In Schweden beträgt das Verhältnis ca. 500 %, in den USA 540 %, in Frankreich 580 % und im Vereinigten Königreich 640 %.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat das Vermögen-Einkommen-Verhältnis in den meisten Industrieländern über die zwei Weltkriege und die damit verbundenen Schocks zunächst abgenommen. In den Nachkriegsdekaden gewann Immobilienvermögen zunehmend an Bedeutung und das Verhältnis wuchs. Immer größere Anteile der Bevölkerung in Deutschland und anderen Industrieländern erwarben Wohneigentum. Für die Mittelschicht wurde Immobilienvermögen zur größten Komponente des Vermögens. Die untere Grafik von Abbildung 1 zeigt die Zusammensetzung des Vermögens im Verhältnis zum Einkommen exemplarisch für Deutschland. Der Anstieg des Vermögen-Einkommen-Verhältnisses seit ca. der Jahrtausendwende hängt jedoch vor allem mit steigenden Immobilienpreisen, getrieben von anziehenden Bodenpreise, und nicht mit steigenden Eigentümerquoten oder Sparquoten zusammen. In Deutschland, Frankreich, Schweden und im Vereinigten Königreich sehen wir dadurch einen markanten Anstieg des Vermögen-Einkommen-Verhältnisses (vgl. Abbildung 1 oben).
Abbildung 1
Vermögen-Einkommen-Verhältnis international und in Deutschland

Quelle: Albers et al. (2022).
Einkommensverteilung
Der Einkommensanteil der einkommensstärksten 1 % oder 10 % kann auf Basis von Einkommensteuerdaten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts konsistent berechnet werden. Insbesondere preußische und sächsische Steuerdaten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind international für ihre hohe Qualität bekannt und wurden schon in den Anfängen der Ungleichheitsforschung herangezogen. So basiert der erste Teil der berühmten Kuznets-Kurve (1955) auf preußischen Einkommensteuerdaten, wonach die Ungleichheit während der Industrialisierung zunächst steigt. Die in den Steuerdaten erfassten Markt- oder Primäreinkommen setzen sich aus Löhnen, Selbstständigeneinkommen und Unternehmensgewinnen sowie Vermögenseinkommen (Zinsen, Dividenden, Vermietungseinkünften) zusammen. Die umverteilende Wirkung des Wohlfahrtsstaats durch Steuern und Transfers ist also nicht abgebildet; Haushalte, die nur Transfereinkommen beziehen, gehen mit Nulleinkommen in die Berechnungen ein.
Bartels (2019) hat die Entwicklung der Einkommenskonzentration basierend auf Steuerdaten in Deutschland seit 1871 berechnet und zeigt, dass sich die Einkommenskonzentration in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark reduziert hat. Die Hyperinflation vernichtete den Wert von Geldanlagen und damit einen großen Teil der Kapitaleinkommen. Die Industrieunternehmen erwirtschafteten in den 1920er Jahren, wenn überhaupt, nur schmale Gewinne und zahlten kaum Dividenden. Somit fiel der Einkommensanteil des Top-Perzentils von 20 % im Jahr 1918 auf 11 % 1925 und blieb auf diesem Niveau bis 1933. In den 1920er Jahren wurde zudem eine Vielzahl von ungleichheitsreduzierenden Politikmaßnahmen eingeführt, unter anderem die deutschlandweite Einkommensteuer mit deutlich höheren Spitzensteuersätzen, die Arbeitslosenversicherung, das kollektive Arbeitsrecht, die Arbeitszeitverordnung, der Kündigungsschutz sowie die Arbeitsgerichtsbarkeit. Die erstarkten Gewerkschaften konnten in den neu etablierten Tarifverhandlungen in den 1920ern starke Lohnerhöhungen durchsetzen. Nach der Machtergreifung 1933 kam es temporär zu einem steilen Anstieg der Spitzeneinkommen durch Aufrüstungsgewinne und Steuerreformen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten zerstörte Infrastruktur sowie Immobilien- und Unternehmensvermögen erst wieder aufgebaut werden. Die Spitzeneinkommen aus Unternehmensbesitz und somit Einkommenskonzentration beim obersten Perzentil zogen allerdings schnell wieder auf ein international vergleichsweise hohes Niveau an. Von Mitte der 1950er bis in die 1980er Jahre schwankte der Einkommensanteil des obersten Perzentils zwischen 11 % und 13 % und war damit höher als der entsprechende Anteil der gleichen Gruppe in den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich in dieser Zeit.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewann das einkommensstärkste Dezil stetig dazu. Dessen Einkommensanteil stieg von 30 % im Jahr 1960 auf mehr als 40 % 2014 (vgl. Abbildung 2). Vor allem die unteren 9 % dieser Gruppe (P90 bis 99) gewannen hinzu. Hochqualifizierte Angestellte wie Manager:innen, aber auch Selbstständige und Freiberufler:innen, wie z. B. Anwält:innen und Ärzt:innen, profitierten vom hohen Einkommenswachstum und stießen zunehmend in die Spitzeneinkommensgruppen vor. Die Einkommen der einkommensstärksten 1 % bleiben über das 20. Jahrhundert hinweg bis heute hauptsächlich den Unternehmenseigner:innen vorbehalten.
Abbildung 2
Einkommensanteil der unteren 50 %, mittleren 40 % und oberen 10 %

Quelle: Bartels (2019).
Seit den 1960ern hat sich die Schere zwischen den Einkommen der oberen und der unteren Hälfte der Einkommensverteilung weiter geöffnet (vgl. Abbildung 2). Erwirtschaftete die einkommensschwächere Hälfte der Bevölkerung im Jahr 1960 noch mehr als 30 % des Nationaleinkommens, sank ihr Anteil seit 2000 auf weniger als 20 %. Anfänglich trugen vermutlich die Ölkrisen und die steigende Arbeitslosigkeit zu diesem Trend bei. In jüngerer Zeit ist die Entstehung des Niedriglohnsektors ein wichtiger Faktor.
Einkommensverteilung im internationalen Vergleich
Für die Zeit seit der deutschen Wiedervereinigung können Wissenschaftler:innen Steuer- und Befragungsdaten auf individueller Ebene auswerten und Verteilungsdynamiken von den Einkommensschwächsten zu den Einkommensstärksten analysieren. Bach et al. (2023) untersuchen die Verteilung der Vorsteuereinkommen mithilfe der von Piketty et al. (2018) etablierten Distributional-National-Accounts-Methode, die Mikrosteuer- und Befragungsdaten mit den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen harmonisiert und kombiniert. Das Vorsteuereinkommen (sogenanntes pretax national income) setzt sich aus allen Markteinkommen aus Kapital und Arbeit zusammen, inklusive der einbehaltenen Gewinne von Unternehmen, nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen und Hinzurechnung von Sozialversicherungsleistungen, vor allem der gesetzlichen Renten.
Bach et al. (2023) zeigen, dass die Schere zwischen der einkommensschwächeren Hälfte der Bevölkerung und dem einkommensstärksten Dezil seit den 1990er Jahren gestiegen ist. Während der Einkommensanteil der unteren 50 % auf weniger als 20 % sank, stieg vor allem der Einkommensanteil der oberen Mittelschicht (Perzentile 90 bis 99). Der Einkommensanteil des obersten Perzentils blieb relativ stabil seit 1990 (vgl. Abbildung 3). Bemerkenswert ist jedoch, dass Deutschland eine signifikant höhere Einkommenskonzentration am oberen Rand aufweist als sein Nachbarland Frankreich. Der Einkommensanteil der obersten 0,1 % ist mit ca. 6 % fast doppelt so hoch wie in Frankreich und bis zum Ende der 2000er Jahre vergleichbar mit dem Niveau in den USA (vgl. Abbildung 3, Panel e).
Abbildung 3
Verteilung des Nationaleinkommens im internationalen Vergleich

Quelle: Bach et al. (2023) für Deutschland, Garbinti et al. (2018) für Frankreich, Piketty et al. (2018) für USA. Für Deutschland liegen nur dreijährliche Daten vor.
Um die internationalen Unterschiede zu verstehen, vergleichen wir die Einkommenszusammensetzung entlang der Einkommensverteilung in Deutschland und den USA. Abbildung 4 zeigt, dass in Deutschland Arbeitseinkommen bis in Topeinkommensgruppen (Perzentile 95 bis 99) dominieren, während in den USA Kapital- und Unternehmenseinkommen schon in der Mitte der Verteilung an Relevanz gewinnen und ab der Mitte des obersten Dezils (P95) dominieren. Auch die Struktur der Spitzeneinkommen unterscheidet sich markant zwischen Deutschland und den USA.
Abbildung 4
Einkommenszusammensetzung entlang der Verteilung in Deutschland und den USA, 2007

Quelle: Bach et al. (2023) für Deutschland, Piketty et al. (2018) für die USA.
Während in Deutschland Einkommen aus Personengesellschaften die obersten 0,1 % dominieren, ist die Spitze der US-amerikanischen Verteilung durch Einkommen aus Aktiengesellschaften (Dividenden und einbehaltene Gewinne) und Zinsen geprägt. Dividenden und Zinsen sind in Deutschland selbst für Spitzenverdiener:innen von geringer Bedeutung. Insgesamt zeigt sich für Deutschland eine wesentlich stärkere Trennung zwischen den von Arbeitseinkommen dominierten unteren 99 % und den von Unternehmenseinkommen dominierten obersten 1 % als in den USA. Während Abbildung 4 das Jahr 2007 zeigt, ist diese Einkommensstruktur stabil für die vergangenen drei Jahrzehnte.
Ein Grund für die hohe Einkommenskonzentration in Deutschland liegt in der geringen Zahl von Anteilseigner:innen von hochprofitablen Personengesellschaften. Selbst bei Firmen mit Umsätzen von 250 Mio. Euro und mehr sind noch 30 % der Firmen Personengesellschaften (Bach et al., 2023, Abb. A.10 und A.11). Im Vergleich zu teilweise börsennotierten Aktiengesellschaften werden Personengesellschaften von einer wesentlich geringeren Zahl von Anteilseigner:innen gehalten. So werden selbst unter den einkommensstärksten Personengesellschaften mit Einkommen von mehr als 5 Mio. Euro 60 % von zwei bis vier Personen gehalten (Bach et al., 2023, Abb. A.5).
Vermögensverteilung
Langfristige Reihen für Frankreich seit 1914, für Schweden seit 1873, für das Vereinigte Königreich seit 1895 und für die USA seit 1913 zeigen einen einzigartigen Rückgang der Vermögenskonzentration nach den beiden Weltkriegen und einen moderaten Anstieg seit den 1980er Jahren. Wie passt Deutschland in dieses Bild?
Albers et al. (2022) konstruieren neue langfristige Reihen für das marktfähige Vermögen der deutschen Haushalte und seine Verteilung seit 1895. Datengrundlage ist eine Kombination aus Steuer- und Archivdaten, Haushaltsbefragungen, den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und Vermögenslisten. Das Vermögen ist definiert als der Wert des handelbaren Vermögens der Haushalte abzüglich der Schulden. Internationalen Standards folgend werden langlebige Konsumgüter, schwer bewertbare Güter, wie z.B. Kunstwerke, sowie nicht handelbare zukünftige Ansprüche an öffentlichen und arbeitgeberbasierten Rentensystemen, ausgeschlossen.
Trotz seiner einzigartig turbulenten Geschichte ähnelt die Entwicklung in Deutschland der Entwicklung in anderen europäischen Ländern und den USA. Abbildung 5 zeigt die Entwicklung des Vermögensanteils der reichsten 1 % in Deutschland, Frankreich, Schweden, dem Vereinigten Königreich und den USA vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. In allen Ländern kam es um die Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem drastischen Rückgang der Vermögenskonzentration. Die ähnlichen Trends zeigen die Bedeutung gemeinsamer politischer und technologischer Schocks und Entwicklungen für die Vermögensverteilung in diesen Ländern. So war die Weltwirtschaftskrise ein globales Ereignis, das die Bewertungen von Unternehmensvermögen in allen industrialisierten Volkswirtschaften über Jahrzehnte hinweg reduzierte. Auf die Weltkriege und den folgenden Wiederaufbaubedarf reagierten die Regierungen ähnlich: mit Steuererhöhungen und verstärkter Umverteilung.
Abbildung 5
Vermögensanteil der Top 1% im internationalen Vergleich

Quelle: Albers et al. (2022) für Deutschland, Piketty et al. (2006) und Garbinti et al. (2021) für Frankreich, Roine und Waldenström (2009) und Lundberg und Waldenström (2018) für Schweden, Alvaredo et al. (2018) für Großbritannien und Saez und Zucman (2016) für die USA.
Aber auch die Ausweitung von Wohneigentum auf breite Teile der Bevölkerung spielte in den abgebildeten Ländern in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle. Die Eigentümerquote stieg in Deutschland von 27 % im Jahr 1950 auf 34 % im Jahr 1968 und auf fast 40 % in den 1980er Jahren (Kohl, 2017). Der Anstieg der Eigentümerquote wird als ein relevanter Faktor für die reduzierte Vermögenskonzentration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesehen (Roine & Waldenström, 2009; Saez & Zucman, 2016). In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich die Eigentümerquote in Ländern wie Deutschland stabilisiert. In den USA und Großbritannien hingegen sinkt die Eigentümerquote und die Vermögenskonzentration ist angestiegen.
Albers et al. (2022) analysieren verschiedene Erklärungsfaktoren für die Dynamik der Vermögenskonzentration im 20. Jahrhundert mit Hilfe von kontrafaktischen historischen Szenarien. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tragen vor allem der Einbruch der Vermögenswerte während des Ersten Weltkriegs, der Hyperinflation und der Großen Depression zum drastischen Einbruch der Vermögenskonzentration bei. Diese Ereignisse reduzierten den Marktwert von Unternehmensbeteiligungen, während der Kapitalstock weitgehend intakt blieb. Dies bestätigen weitere aktuelle Studien, die die Bedeutung von Portfoliostruktur und Vermögensrenditen für die Dynamik der Vermögensungleichheit betonen.
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg erklären hingegen vor allem die physische Zerstörung sowie die Besteuerung von Kapital den größten Teil des Rückgangs der Ungleichheit. Albers et al. (2022) schätzen, dass allein der Lastenausgleich von 1952 den Vermögensanteil der reichsten 1 % um etwa 3 Prozentpunkte reduzierte, während die Kriegszerstörung weitere 3 Prozentpunkte des Rückgangs erklären.
Seit der Einführung von Haushaltsbefragungen kann die deutsche Vermögensverteilung in ihrer gesamten Breite analysiert werden. Abbildung 6 zeigt den Gini-Koeffizienten sowie den Vermögensanteil der ärmeren 50 %, der mittleren 40 % und der reichsten 10 % von 1993 bis 2021 für alle drei verfügbaren Haushaltsbefragungen. Das Statistische Bundesamt leitet die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS), die Infrastruktureinrichtung Sozio-Ökonomisches Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) das SOEP und die Bundesbank die Studie Private Haushalte und ihre Finanzen (PHF) bzw. die von den europäischen Zentralbanken koordinierte Household Finance and Consumption Survey (HFCS). Für die Schätzungen haben Albers et al. (2022), den internationalen Standards des World Inequality Labs (Blanchet et al., 2021) folgend, die Befragungsdaten auf die makroökonomischen Aggregate hochgerechnet und mit der Manager-Magazin-Reichenliste das Spitzenvermögen ergänzt. Bei dieser einheitlichen Schätzmethode zeigt sich ein recht einheitliches Bild über die drei Haushaltsbefragungen.
Abbildung 6
Vermögensverteilung in Deutschland, 1993 bis 2021

EVS = Einkommens- und Verbrauchsstichprobe; SOEP = Sozio-Ökonomisches Panel; PHF = Private Haushalte und ihre Finanzen.
Quelle: Albers et al. (2022).
Der Gini-Koeffizient stieg moderat von ca. 73 % im Jahr 1993 auf ca. 76 % im Jahr 2018. In diesem Zeitraum hat die reichere Hälfte der Vermögensverteilung ihr Vermögen ungefähr verdoppelt, wofür die Vermögensbewertung eine zentrale Rolle gespielt hat. Sowohl Unternehmensbesitzer:innen als auch Hausbesitzer:innen (ab 2010) konnten große Kapitalgewinne auf ihr Vermögen verzeichnen. Gleichzeitig stagnierte das durchschnittliche, reale Vermögen der ärmeren 50 % der Haushalte. Infolgedessen hat sich der Anteil der ärmeren 50 % am Gesamtvermögen von ca. 4 % im Jahr 1993 auf weniger als 2,5 % im Jahr 2018 fast halbiert.
Rentenversicherungsvermögen
Ein nicht unerheblicher Teil der Vermögensunterschiede zwischen Ländern entsteht durch das Rentensystem. Ein erweitertes Vermögenskonzept (augmented wealth) berücksichtigt zusätzlich zum Nettovermögen auch die zukünftigen Rentenansprüche. Rentenansprüche an eine gesetzliche Rentenversicherung analog zur privaten Altersvorsorge in die Vermögensberechnung einzubeziehen, verbessert dabei die internationale Vergleichbarkeit.
Bisher haben nur wenige Studien den Gegenwartswert von Renten für Deutschland geschätzt. Aufbauend auf Frick und Grabka (2010, 2013) und Bönke et al. (2019) schätzen Bartels et al. (2023) den Gegenwartswert des Rentenvermögens in Deutschland für die Jahre 2012 und 2017 auf Basis der SOEP-Daten, die die individuelle Erwerbsbiografie bis zum Erhebungsjahr erfassen.
Addiert man das Rentenvermögen zum Nettovermögen der deutschen Haushalte, erhöht sich das Vermögen-Einkommen-Verhältnis der Haushalte von etwa 580 % auf 850 % im Jahr 2017. Die Bedeutung des Rentenvermögens für die Portfolios der deutschen Haushalte variiert allerdings stark über die Vermögensverteilung. Für die ärmere Hälfte ist das Rentenvermögen die wichtigste Vermögenskomponente, während es für die deutsche Mittelschicht ungefähr so wichtig ist wie ihr Immobilienvermögen. Für die reichsten 1 % der Haushalte ist das Rentenvermögen von geringer Bedeutung, weil in dieser Vermögensklasse viele Selbstständige sind, die keine Ansprüche an eine gesetzliche oder/und betriebliche Rente oder Pension erworben haben.
Da das Rentenvermögen den dominanten Teil im Vermögensportfolio der ärmeren Hälfte der Haushalte darstellt, steigt ihr Vermögensanteil durch die Berücksichtigung des Rentenvermögens von 2 % auf 9 % im Jahr 2017. Der Vermögensanteil des reichsten Perzentils sinkt von ca. 30 % auf 20 %. Die Einbeziehung des Rentenvermögens senkt also die gemessene Vermögensungleichheit.
Fazit
Im europäischen Vergleich weist Deutschland eine hohe Einkommens- und Vermögenskonzentration auf. Ein wichtiger Grund dafür ist die Konzentration des Unternehmensbesitzes auf wenige Anteilseigner:innen. Während die Mitte der Vermögensverteilung (P50 bis 99) vor allem Häuser besitzt, besitzt die ärmere Hälfte der Verteilung kaum Vermögen. Ihr Vermögensanteil beträgt weniger als 3 %, wobei das Rentenvermögen einen Großteil ausmacht.
Bisher wissen wir wenig darüber, wie Unternehmensgewinne an Arbeitnehmer:innen weitergegeben, an Anteilseigner:innen ausgeschüttet, investiert werden oder schlussendlich von den Unternehmensbesitzer:innen gespart werden. Diese Entscheidungen auf Unternehmensebene sind zentral für die Einkommens- und Vermögensverteilung. Die Verbindung von administrativen Unternehmensdaten wie dem Unternehmensregister und der Körperschafts- und Gewerbesteuerstatistik mit persönlichen Steuerdaten wie der Einkommen- und Erbschaftsteuer können hier wertvolle Einsichten liefern. Deren Verknüpfung ist jedoch bisher rechtlich nicht möglich. Länder wie Schweden, Dänemark und Norwegen, aber auch Frankreich zeigen, wie ein effizienter Datenzugang mit hohen Anonymisierungsstandards verbunden werden kann.
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Autorinnen: Bartels. Ch, Neef, Ch., „Die Einkommens-und Vermögensverteilung in Deutschland“, Wirtschaftsdienst, 104. Jahrgang., Heft 7, 2024, Seiten 441-447 Anmerkungen und Literaturverweise siehe dort, als Open Access | CC BY 4.0 | DOI: 10.2478/wd-2024-0117
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