Reformbedarf beim Öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR)

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) steht unter Reformdruck, zum einen aufgrund des technologischen Wandels und des veränderten Mediennutzungsverhaltens, zum anderen befeuert durch diverse Skandale. Der von der Rundfunkkommission der Länder eingesetzte Zukunftsrat hat dazu im Januar seinen Bericht vorgelegt, um eine „langfristige Perspektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Akzeptanz“ zu entwickeln. Erforderlich seien dabei „nicht bloß Veränderungen im System, sondern Umbauten des Systems“, so der Zukunftsrat.

Die Kritik am ÖRR betrifft vor allem vier Punkte: Erstens wird schon lange über den Auftrag des ÖRR diskutiert. Der ÖRR investiere zu viel in teure Sportsendungen, insbesondere im Profi-Fußball, und in massentaugliche Unterhaltung und zu wenig in Nachrichten, Politiksendungen, Bildung, Kultur und Wissenschaft. Zweitens wird die Qualität der Berichterstattung, insbesondere im Bereich Politik und Kultur, bemängelt. Diese Kritik bezieht sich zum einen auf eine – aus Sicht der Kritiker – unausgewogene Berichterstattung zugunsten „roter“ und „grüner“ Inhalte, während liberale und konservative Inhalte zu kurz kämen oder zu negativ dargestellt würden. Zum anderen bezieht sich die Kritik auf die Verbreitung dezidiert falscher Inhalte (Fake News) sowie das Nicht-Berichten vermeintlich politisch nicht korrekter Inhalte. Drittens wird die ineffektive Aufsicht des ÖRR bemängelt, besonders im Kontext von Fällen der Verschwendung von Beitragsmitteln. Viertens gibt es Kritik an der Höhe des Rundfunkbeitrags vor allem bei beantragten Steigerungen.

Der Reformbedarf leitet sich nicht nur aus dieser Kritik, sondern auch daraus ab, dass sich die normative Rechtfertigung für den ÖRR fundamental geändert hat. Ursprünglich bestand diese in einer technologisch bedingten Knappheit der verfügbaren Sendeplätze. Das Angebot an Rundfunkprogrammen war nicht nur rechtlich beschränkt, sondern durch das limitierte Frequenzspektrum und die verfügbaren Technologien lange Zeit auch technisch begrenzt. Um vor diesem Hintergrund die Meinungsvielfalt im Rundfunk sicherzustellen, wurde in vielen Staaten Rundfunk primär öffentlich-rechtlich betrieben. Bei einem privat betriebenen Rundfunk hätte die Gefahr eines übermäßigen Einflusses einzelner Eigentümer auf die öffentliche Meinungsbildung und einer Verkürzung der Meinungsvielfalt auf knappen Sendeplätzen bestanden. Aufgrund des technologischen Fortschritts, insbesondere durch die Verbreitung des Kabel- und Satellitenfernsehens, des Internets und von Streaming-Diensten und sozialen Medien, ist die Gewährleistung eines vielfältigen Medienangebots heute aber kaum noch ein Problem. Das traditionelle Marktversagen existiert nicht mehr. Gleichwohl lässt sich daraus nicht schließen, dass ein vollkommen unregulierter Markt ohne staatliche Eingriffe erstrebenswert wäre. Das Problem einer verzerrten Berichterstattung etwa besteht nach wie vor und dürfte in der „Aufmerksamkeitsökonomie“ sogar schwieriger zu korrigieren sein als in der Vergangenheit. Blieb den Bürger:innen vor 50 Jahren angesichts des sehr überschaubaren Medienangebots fast nichts Anderes übrig, als sich verschiedenen Auffassungen auszusetzen (etwa morgens der Tageszeitung und abends dem ÖRR), so können sich Rezipienten heute problemlos in Pa­rallelwelten und Echokammern zurückziehen. Der ÖRR ist nicht mehr das Lagerfeuer der post-steinzeitlichen Gesellschaft, wie er es vor 50 Jahren noch war. Knapp sind nicht mehr die Sendeplätze, sondern die Aufmerksamkeit der Rezipienten. Etwaige Fake News sind so schwieriger zu korrigieren. Ein möglichst hochqualitatives, vertrauenswürdiges öffentlich-rechtliches Angebot, das effektiv zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt, kann unter diesen Umständen durchaus eine Berechtigung haben.

Die Governance-Strukturen des ÖRR sind daher mit Blick auf zwei Aspekte zu reformieren. Zum einen stellt sich die Frage, wie die Qualität des ÖRR-Programms in ihren verschiedenen Dimensionen – wie etwa die journalistische Sorgfalt, die Aktualität, die Vielfalt und der Innovationsgrad – möglichst effektiv sichergestellt werden kann, ohne dass es zu einer politischen Kontrolle der Inhalte kommt. Und zum anderen ist ein möglichst effizienter Einsatz der Mittel zu gewährleisten. Bei der Ausgestaltung von Aufsichtsgremien gibt es einen Trade-off im Hinblick auf Größe und Zusammensetzung. Einerseits lassen sich prinzipiell umso mehr Perspektiven einholen, je mehr Mitglieder ein Aufsichtsgremium hat. Dies ist wichtig, wenn Pluralismus, Vielfalt und Diversität die primären Ziele sind. Ein möglichst breit und divers besetztes Gremium sollte gut erfassen können, ob etwa eine hinreichende Vielfalt in der Programmgestaltung gelingt und möglichst alle gesellschaftlichen Positionen repräsentiert werden. Das Aufsichtsgremium hat dann stärker eine beratende als eine kontrollierende Funktion. Andererseits kommt es umso eher zu einer Diffusion von Verantwortung (Trittbrettfahrerverhalten), je größer ein Aufsichtsgremium ist. Mit zunehmender Größe eines Gremiums wächst die Gefahr, dass sich niemand mehr wirklich verantwortlich für das Gesamtprodukt fühlt. Dies ist besonders problematisch, wenn die Qualität des Produkts und die effiziente Mittelverwendung besonders wichtig sind. Um die journalistische Qualität und Effizienz zu evaluieren, sind sowohl Expertise als auch umfassende Vorbereitungen erforderlich. Es geht dabei stärker um eine echte Aufsicht und Kontrolle als um eine beratende Funktion für die Sendeanstalten. Eine Diffusion von Verantwortung durch Trittbrettfahrerprobleme, wie sie in großen Gremien bestehen, ist dabei problematisch.

In Bezug auf den ÖRR spricht die vergleichsweise stärkere Betonung der journalistischen Qualität somit tendenziell für kleinere Aufsichtsgremien als bisher, um eine Diffusion von Verantwortung zu vermeiden. Bei der Besetzung der Gremien sollte somit journalistische Expertise bedeutsam sein, um eine adäquate Bewertung der journalistischen Qualität vornehmen zu können. Daher sollten die Aufsichtsgremien im ÖRR so strukturiert werden, dass es klarere Verantwortlichkeiten gibt. Dafür ist eine drastische Verkleinerung der Aufsichtsgremien notwendig. Zugleich sollten die Aufsicht über die Auftragserfüllung von der Aufsicht über finanzielle Aspekte (sparsame Verwendung der Ressourcen) getrennt werden, etwa indem verschiedene Ausschüsse eingerichtet werden. Des Weiteren sollten die Aufsichtsgremien räumlich von den beaufsichtigten Anstalten getrennt werden und eigenes Personal beschäftigen, das ebenfalls räumlich vom ÖRR getrennt ist. Nur so lässt sich eine unabhängige und effektive Aufsicht gewährleisten. Weiterhin sollte der ÖRR in regelmäßigen Abständen extern evaluiert werden, insbesondere im Hinblick auf die Auftragserfüllung. Regelmäßige, wissenschaftlich gestützte Evaluationen durch unabhängige Expertengremien sind etwa im Bereich der Wissenschaft, z. B. bei wissenschaftlichen Forschungsinstituten, üblich. Selbst wenn eine solche Begutachtung keine direkten Folgen für die Sender haben, erhöhen sie die Transparenz und sorgen für eine gewisse Disziplinierung. Gemeinsam mit weiteren Reformvorschlägen, die der Kronberger Kreis erarbeitet hat, ließen sich so nicht nur die Kosten des ÖRR senken, sondern auch seine Akzeptanz in der Bevölkerung stärken – und damit die Integrationsfunktion, die der ÖRR erfüllen soll.
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Autor: Haucap, J., „Governance des öffentlich-rechtlichen Rundfunks reformieren“, Wirtschaftsdienst, 104. Jahrgang., Heft 6, 2024, Seiten 362-363, Anmerkungen und Literaturverweise siehe dort, als Open Access | CC BY 4.0 | DOI: 10.2478/wd-2024-0095

 

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