IPCEI: Staatl. Förderprogramm für Forschung und Entwicklung
Brauchen wir IPCEI?
Ein Important Project of Common European Interest (IPCEI) ist ein staatliches Förderprogramm in der EU, in dessen Rahmen die teilnehmenden Mitgliedstaaten mit eigenen Mitteln Forschung und Innovation privater Unternehmen in den eigenen Grenzen unterstützen können. Die zentrale Frage, die sich im Zusammenhang mit der Einrichtung oder Ausdehnung eines IPCEI stellt, ist, inwieweit damit zu einem besseren Innovationsklima beigetragen werden kann.
IPCEI wurden im Jahr 2014 durch eine Mitteilung der Europäischen Kommission (2014) ermöglicht. Diese Projekte sind an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft. Mehrere Mitgliedstaaten der EU (früher mindestens zwei, inzwischen mindestens vier) müssen sich daran beteiligen, die begünstigten Unternehmen müssen die geförderten Projekte kofinanzieren, in der gesamten EU müssen positive Spill-over-Effekte ausgelöst werden und es dürfen nur solche Projekte verfolgt werden, die deutlich über den internationalen Stand der Technik in dem betreffenden Sektor hinausgehen. Inzwischen wurden IPCEI in den Bereichen Mikroelektronik, Batteriezellen, Cloud-Infrastrukturen, Wasserstoff und Gesundheit etabliert. Nachdem Deutschland sich im November 2022 auch dem sogenannten IPCEI Health angeschlossen hat, ist es an allen IPCEI in der EU beteiligt. Für das IPCEI Health sind im gegenwärtigen Haushaltsjahr des Bundes 10 Mio. Euro eingeplant. Weitere 175 Mio. Euro sind als Verpflichtungsermächtigung für die kommenden fünf Jahre veranschlagt.
Die zentrale Frage, die sich im Zusammenhang mit der Einrichtung oder Ausdehnung eines IPCEI, hier im Bereich Gesundheit, stellt, ist, inwieweit damit zu einem besseren Innovationsklima beigetragen werden kann. Denn trotz der Voraussetzungen ist ein IPCEI im Kern ein Subventionsprogramm und insoweit Teil einer aktiven Industriepolitik. An sich sind einer aktiven Industriepolitik in der EU mit dem Beihilferecht aus gutem Grund enge Grenzen gesetzt. Im Rahmen eines IPCEI erhalten die beteiligten Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit, Unternehmen spezielle Beihilfen zu gewähren.
Staatliche Forschungspolitik ist notwendig
Unbestritten wird Deutschland seinen Wohlstand nur aufrechterhalten, wenn es seine komparativen Vorteile bei wissensintensiven Wertschöpfungen behauptet. Wissensintensive Wertschöpfungen sind in hohem Maße geprägt durch innovationsgetriebene Veränderungen. Entsprechende komparative Vorteile setzen deshalb ein möglichst innovationsfreundliches wirtschaftliches und institutionelles Umfeld voraus.
Zu den wissensintensiven Industrien gehören Pharmazie und Biotechnologie. Innovationen in diesen Bereichen sind in der Regel mit hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung verbunden. Von der ersten Idee bis zur Entwicklung eines marktreifen Produkts vergehen dabei in der Regel Jahre. Gerade für junge Unternehmen, sogenannte Start-ups, sind hohe Anfangsinvestitionen ohne begleitende Erträge eine große Hürde. Da sie in der Regel einen erschwerten Zugang zu Fremdkapital und zum konventionellen Kapitalmarkt haben, sind sie auf Wagniskapital und öffentliche Förderung angewiesen.
Unbestritten ist auch, dass allein marktgetriebene private Ausgaben für Forschung und Innovation in der Regel zu gering sind. Wissenszuwächse aufgrund von Forschungsausgaben einzelner Unternehmen kommen auch anderen Markteilnehmern zugute, ohne dass die investierenden Unternehmen dafür am Markt ausreichend entgolten werden. Für Start-ups kommt ein beschränkter Zugang zu ausreichenden Investitionsmitteln erschwerend hinzu. Staatliche Förderung muss dazu beitragen, dass in einem gesellschaftlich wünschenswerten Ausmaß in Forschung und Innovation investiert wird.
Im Unterschied zu einer allgemeinen staatlichen Forschungsförderung werden indessen im Rahmen eines IPCEI spezifische, von der Politik identifizierte Projekte unterstützt. Nun haben die Wirtschaftswissenschaften keine Theorie parat, die Aufschluss darüber gibt, welche Technologien in Zukunft besonders erfolgreich sein werden. Innovative Prozesse sind Ergebnis einer Vielzahl dezentraler Entscheidungen. Erfolge sind zwar ex post feststellbar, aber nicht ex ante identifizierbar. Als Filterfunktion setzen die Wirtschaftswissenschaften deshalb auf dezentrale Wettbewerbsmechanismen. Auch der Staat dürfte über keine spezielle Expertise in der Beurteilung der Marktchancen neuer Technologien oder innovativer Start-ups verfügen. Es ist insofern schwer zu begründen, weshalb der Staat eine solche Filterfunktion übernehmen sollte.
Überzeugend begründen lässt sich eine gezielte staatliche Forschungsförderung einzelner Unternehmen in Ausnahmesituationen wie der Coronapandemie. Die Notwendigkeit, möglichst rasch einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, war offensichtlich und die staatliche Unterstützung unter anderem von Biontech daher folgerichtig. Aus dem Erfolg von Biontech sollte man aber keine allgemeine staatliche Subventionsstrategie ableiten. Als Best Practice für Normalzeiten ist der Fall Biontech nicht geeignet. Die staatliche Förderung und der Erfolg von Biontech sollten vielmehr im Kontext der Coronapandemie beurteilt werden.
Der Staat ist für ein innovationsoffenes Klima verantwortlich
Eine erfolgreiche staatliche Förderung von Forschung und Innovation besteht neben der Finanzierung von Universitäten und Forschungsinstituten sowie dem Schutz geistigen Eigentums in der Sicherstellung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen für den privaten Sektor. Mangelt es an solchen Rahmenbedingungen, wird eine spezifische Förderung einzelner Industrien und Unternehmen keinen nachhaltigen Erfolg haben. Dann besteht die Gefahr, dass Unternehmen nur solange an den geförderten Standorten verbleiben, wie sie Subventionen erhalten. Anschließend werden sie sich Standorte suchen, wo sie bessere Rahmenbedingungen vorfinden. Zu guten Rahmenbedingungen gehören steuerliche Anreize, ein innovationsoffenes Kapitalmarktumfeld, starke Forschungsuniversitäten, gesellschaftliche Technologieoffenheit und ein innovationsoffener Umgang mit Daten.
Steuerliche Anreize
Inzwischen liegt umfassende empirische Evidenz dafür vor, dass sich mit steuerlichen Anreizen ein innovationsoffenes Klima erzeugen lässt. Das gilt sowohl für gezielte, inputbasierte steuerliche Förderungen, wie die kürzlich in Deutschland eingeführte Forschungszulage, als auch für Unternehmen- und Einkommensteuern insgesamt. Die Belastung mit Unternehmensteuern trägt maßgeblich zu Standortentscheidungen forschender Unternehmen bei. Neben einer moderaten steuerlichen Belastung insgesamt kann der Staat durch besondere Regeln wie z.B. einer Patentbox Anreize für die Ansiedelung wissensintensiver Industrien schaffen. Im Unterschied zu einigen anderen europäischen Ländern hat Deutschland bislang keine Patentbox eingerichtet. Auch ist die Belastung mit Unternehmensteuern in Deutschland im internationalen Vergleich sehr hoch. Einkommensteuern für natürliche Personen wiederum nehmen Einfluss darauf, wo Fachkräfte ihre Arbeit anbieten. Gerade hochqualifizierte Arbeitskräfte sind international mobil. Auch bei den Einkommensteuern für natürliche Personen liegt Deutschland im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld.
Start-ups durchlaufen zwar in der Regel zunächst eine Phase, in der keine Gewinne erwirtschaftet, sondern Verluste angehäuft werden. Aber auch für diese Unternehmen spielt die intensive Belastung mit Ertragsteuern eine große Rolle, denn indirekt werden sie gleichwohl belastet. Neben der bereits angesprochenen steuerlichen Belastung hochspezialisierter Beschäftigter sind sie insbesondere von der steuerlichen Diskriminierung von Eigenkapital gegenüber Fremdkapital betroffen, weil der Zugang zu Fremdkapital für sie oft noch schwerer ist als der zu Eigenkapital. Hinzu kommt, dass sie von einem teilweisen oder sogar vollständigen Untergang von Verlustvorträgen bei einem Gesellschafterwechsel bedroht sind. Das erschwert den Zugang zu Wagniskapital, da ein Wechsel von Gesellschaftsanteilen bei Start-ups vor Eintritt in die Gewinnphase eher die Regel als die Ausnahme ist. Zwar hat der Gesetzgeber inzwischen mit dem fortführungsgebundenen Verlustvortrag Möglichkeiten geschaffen, Verlustvorträge trotz Gesellschafterwechsel weiterhin zu nutzen. Daran sind aber restriktive Bedingungen geknüpft, die gerade Start-ups oft nicht erfüllen.
Innovationsoffenes Kapitalmarktumfeld
Zwar ist der deutsche Markt für Wagniskapital in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Im internationalen Vergleich bleibt Deutschland aber weiterhin zurück. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) wenden die großen Wagniskapitalmärkte USA und China mehr als fünfmal so viel für Wagniskapital auf wie Deutschland. Auch im europäischen Vergleich wirkt der deutsche Wagniskapitalmarkt bescheiden. In Großbritannien ist der Markt gemessen am BIP mehr als doppelt so groß und in Frankreich immerhin 1,5-mal so groß wie in Deutschland. An geringeren öffentlichen Geldern liegt es dabei nicht. Während in Deutschland von 2017 bis 2019 rund 15 % des Wagniskapitals von der öffentlichen Hand bereitgestellt wurden, waren es in Großbritannien in diesem Zeitraum nur 8 % (KfW Research, 2020).
Die geringe Bedeutung des Wagniskapitalmarkts in Deutschland geht mit einer wenig ausgeprägten Kapitalmarktkultur einher. So ist die Aktionärsquote in Deutschland deutlich geringer als insbesondere in den angelsächsischen Ländern. Das erschwert erstmalige Börsengänge erfolgreicher Start-ups. Auch die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist in Deutschland komplizierter und aufwändiger (KfW Research, 2020).
Schließlich spielen institutionelle Anleger wie Pensionsfonds eine geringere Rolle in der Bereitstellung von Wagniskapital. Das gilt besonders im Vergleich zu den USA (Invest Europe, 2022). Zu prüfen wäre, inwieweit institutionelle Vorgaben, wie die Anlagegrundsätze des Versicherungsaufsichtsgesetzes, einem stärkeren Engagement von Pensionsfonds im Wege stehen. Auch die geplante Aktienrente könnte Möglichkeiten zur Stärkung des Wagniskapitalmarkts bieten.
Starke Forschungsuniversitäten
Wissensintensive Dienstleitungen setzen eine starke Forschungslandschaft und damit starke Forschungsuniversitäten voraus. Hinsichtlich des Forschungsoutputs haben deutsche Universitäten in den vergangenen beiden Jahrzehnten deutlich zugelegt. Die Exzellenzinitiative hat dabei erheblich zur Sichtbarkeit deutscher Universitäten beigetragen. Indessen ist die deutsche Forschungspolitik nach wie vor stärker geprägt von einer Förderung in der Breite als in der Spitze. Damit erhält Spitzenforschung geringeres Gewicht als z. B. in den angelsächsischen Ländern. Das zeigt sich auch in der Effizienz der Universitäten. In einem Effizienzvergleich europäischer Universitäten zeigen sich im Bereich der Universitäten mit medizinischem Schwerpunkt britische Universitäten als die effizientesten und deutsche Universitäten als die am wenigsten effizienten. Während britische Universitäten ihren Output (Forschungsoutput und Absolventen) im Durchschnitt um das 1,4-fache erhöhen könnten, wenn sie die Effizienzgrenze erreichten, könnten deutsche Universitäten ihren Output um das 3,7-fache erhöhen. Für die Effizienz ist insbesondere die Größe der Einrichtung eine wichtige Determinante (Herberholz und Wigger, 2021). Das deutet darauf hin, dass eine stärker an der Spitzenforschung orientierte Universitätspolitik einen Beitrag zu einer Stärkung der Forschungslandschaft leisten kann.
Technologieoffenheit
Ein innovationsoffenes Klima wird auch durch gesellschaftliche Offenheit für neue Technologien begünstigt. Dass in Deutschland eine vergleichsweise hohe Technologieskepsis herrscht, ist inzwischen bekannt und lässt sich auch empirisch nachweisen. So liefert eine neuere Studie Evidenz dafür, dass die deutsche Bevölkerung tendenziell die Risiken neuer Technologien höher gewichtet als beispielsweise asiatische Bevölkerungen. Technologieoffenheit dürfte unter anderem mit dem Bildungssystem zusammenhängen. Je mehr sich bereits Schüler:innen für neue Technologien begeistern, desto stärker dürften die Chancen neuer Technologien gesehen werden. Das Bildungssystem ist zudem von zentraler Bedeutung für einen ausreichenden Nachwuchs in den wissensintensiven Berufen. Es sollte deshalb als ein Alarmzeichen gesehen werden, dass die Zahl der Studienanfänger:innen in den MINT-Fächern zuletzt um 6,5 % deutlich gesunken ist und damit um 2,5 Prozentpunkte mehr als die Zahl der Studienanfänger:innen insgesamt (Statistisches Bundesamt, 2023).
Innovationsoffener Umgang mit Daten
Wissensintensive Wertschöpfungen basieren in hohem Maße auf der Verarbeitung und dem Austausch von Daten. Künstliche Intelligenz etwa steht und fällt mit der Verfügbarkeit großer und aktueller Datenmengen. Eine gesellschaftlich optimale Nutzung von Daten setzt klare Regeln der Datenverarbeitung voraus. Davon ist Deutschland weit entfernt. Dezentral verteilte Kompetenzen im Datenschutz führen zu unterschiedlichen und zum Teil unnötig hemmenden und restriktiven Auslegungen des Datenschutzrechts. Es war, das muss man so klar konstatieren, ein Fehler, den Datenschutz in Deutschland föderal zu organisieren.
Fazit
Zur Stärkung des Technologiestandorts Deutschland bedarf es weniger zusätzlicher Subventionen als vielmehr einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für wissensintensive Wertschöpfungen. Mangelt es an geeigneten Rahmenbedingungen, so besteht die Gefahr, dass der Staat mit Forschungssubventionen Probleme zu lösen versucht, die er zunächst mit mangelhaften Institutionen selber schafft. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland sich dieser institutionellen Probleme systematisch annimmt. Ein erster Schritt könnte die Einrichtung eines bundesweiten Technologierates sein. Dieser sollte sich jedoch nicht mit der Identifikation von Sektoren beschäftigten, die zusätzlicher Subventionen bedürfen. Vielmehr sollte er dazu beitragen, jene Hindernisse zu identifizieren, die der Entwicklung wissensintensiver neuer Industrien im Wege stehen und Vorschläge entwickeln, diese Hindernisse zu beseitigen.
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Autor: Wigger, B. U., „Brauchen wir IPCEI?“, Wirtschaftsdienst 103. Jahrgang, 2023 (5), S. 322-325, Anmerkungen und (weitere) Literaturverweise siehe dort, als Open Access | CC BY 4.0 | DOI: 10.2478/wd-2023-0098
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