Vermögensabgabe – (k)eine gute Idee?

Die Vermögensabgabe ist keine gute Idee

Die ältere Generation erinnert sich heute noch an die Lage in Deutschland um 1950. Die Stra‍ßen mit den Skeletten zerstörter Gebäude sind auch den Jüngeren aus Historiendokumentationen vertraut. Auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik waren über 20 Prozent des Wohnraums zerstört. Historiker schätzen, dass die Arbeitsplätze für ein Drittel der Bevölkerung fehlten. Und rund jede fünfte Einwohnerin oder jeder fünfte Einwohner war aus den „Ostgebieten“ geflohen, auf dem Gebiet der Bundesrepublik gestrandet, hatte ihre wirtschaftliche Existenz, ihre Wohnung und weitgehend auch ihre persönliche Habe verloren.

Für den Wiederaufbau und zur Finanzierung des Nötigsten hatte der Staat alle Spielräume ausgenutzt. Mit einem persönlichen Einkommensteuersatz für Spitzenverdiener von 95 Prozent war die Einkommensteuer als Instrument staatlicher Einnahmen am Anschlag. Vom internationalen Kreditmarkt war der Staat noch abgeschnitten. Zugleich ergab sich aus den Kriegswirren ein Maß an extremer Ungleichheit in der Betroffenheit. Den Millionen Arbeitslosen ohne feste Bleibe, die alles verloren hatten und mit nicht viel mehr als ihrem nackten Leben in Deutschland ankamen, stand eine Gruppe von Personen gegenüber, deren Wohngebäude und Fertigungsstätten zufällig im verbleibenden Gebiet der Bundesrepublik lagen und zufällig von den Bombenteppichen verschont blieben. Diese knappen Wohnhäuser und Betriebsstätten waren entsprechend wertvoll, und die Währungsreform hatte deren Besitzer großenteils von etwaigen Hypotheken und Schulden befreit.

Damals entschied man sich, übrigens nach heftigen Kontroversen, zum Äußersten: dem Lastenausgleichsgesetz, einem einmaligen und drastischen Eingriff in die privaten Eigentumsrechte. Heute gibt es viele Stimmen, die sich auf diese Maßnahme berufen und ähnliche Vermögenseingriffe fordern. Doch der Verweis auf 1950 taugt nicht. Ein Vergleich von 1950 und heute zeigt schnell die Unterschiedlichkeiten der Problemlagen (vgl. z.B. Wissenschaftlicher Beirat beim BMF 2021). Deutschland verfügt heute über einen zwar alternden aber weitgehend intakten Bestand an öffentlicher Infrastruktur, Fabriken und Betriebsstätten sind wohlauf, jedenfalls nicht zerstört, das Land verfügt insgesamt über einen erheblichen und intakten Bestand an privatem Wohnraum. Deutschland hat Bonitätsbestnoten, was mögliche staatliche Verschuldung angeht. Und auch die steuerlichen Möglichkeiten im Bereich der Einkommensteuer mit einem Spitzensteuersatz, der weniger als halb so hoch wie 1950 ist, sind nicht ausgereizt. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordtief, und viele Sektoren suchen händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften.

Der Bundespräsident hat jüngst die Deutschen auf schwierige Zeiten eingeschworen (vgl. Deutschlandfunk 2021). Und ja, zu Recht. Aber nicht nur wegen der Ukrainekrise und ihren Folgen. Deutschland steht vor einer tiefen Strukturkrise. Grundpfeiler des Geschäftsmodells, das Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten erheblichen Wohlstand beschert hat, drohen wegzubrechen. Wichtiger Bestandteil dieses Modells war die Symbiose zwischen Deutschland als Maschinenausrüster und Produzent von High-End-Konsumprodukten, etwa Automobilen im Luxussegment, und China als Werkbank der Welt und billiger Anbieter von nützlichen Massenkonsumprodukten. Diese Symbiose dürfte zu Ende gehen, wenn China seine Produktion in den Hi-Tech-Bereich ausweitet, damit als Nachfrager ausfällt und als Anbieter in Drittländern unmittelbar mit Deutschland konkurriert. Deutschland droht dann ein Niedergang, wie ihn andere Länder in Europa durch die chinesische Konkurrenz im Konsumgütersektor bereits erfahren haben. Überhaupt ist das Gespenst der Deglobalisierung für den Wohlstand in Deutschland eine ernste Bedrohung.

Herausforderungen wie diese lassen sich nicht durch Umverteilung von Vermögensmassen innerhalb Deutschlands lösen. Im Gegenteil: Eine der verbliebenen Stärken des Standorts Deutschland ist ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Investorenvertrauen in staatliche Institutionen. Genau dieser Wettbewerbsvorteil steht auf dem Spiel, sollte der Staat beginnen, negative Schocks durch die Umverteilung von Vermögensbeständen zu „behandeln“. Befürworter einer Vermögensabgabe betonen zwar immer deren Einmaligkeit. Nur bei einem „Schwarzen Schwan“- oder Jahrhundertereignis, wie der Energiepreisexplosion im Gefolge der Ukraine-Invasion, soll die Vermögensabgabe einmalig und als große Ausnahme eingesetzt werden. Leider treten die Ereignisse, die die Bürger im jeweiligen Augenblick als Jahrhundertereignisse empfinden, sehr viel häufiger auf als nur einmal in hundert Jahren. Anlässe, ein Jahrhundertereignis auszurufen gab es in den letzten zwei Dekaden reichlich, und wird es immer wieder geben. Waren da nicht jüngst die Finanzkrise 2007, die Eurokrise ab 2010, die Geflüchtetenkrise, die Coronakrise, und die Ukrainekrise? Waren das nicht alles ihrer Natur und Größe nach einmalige und einzigartige Schocks? Hätte man den vielfältigen Rufen nach „Lastenausgleich“ in diesen Situationen nachgegeben, wäre die diskretionäre Besteuerung von Vermögensgegenständen nicht mehr die Ausnahme sondern eine Art Normalität – eine Zufallsgesetzen folgende Form von Enteignungen. Der gute Ruf Deutschlands als Investitionsstandort wäre dahin. Der Ruf des deutschen Staates mit einem verlässlichen, regelbasierten Steuersystem wäre zerstört. In der Folge gäbe es dann auch keine riesigen Vermögensmassen mehr, die der Staat umverteilen könnte.
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Autoren: Konrad, Kai A.; Thum, Marcel, Die Vermögensabgabe ist keine gute Idee. Erschienen als Leitartikel in WiSt Heft 1-2023, mit Open Access | CC BY | DOI: 10.15358/0340-1650-2023-1-1

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