Gegen den Industriestrompreis

Geld mit der Gießkanne kauft keine realen Standortvorteile

In den vergangenen 24 Monaten haben zwei Entwicklungen den deutschen Strompreis maßgeblich nach oben getrieben. Zum einen gab es beginnend in der zweiten Jahreshälfte 2021 einen rasanten Anstieg des Erdgaspreises. Dieser erhöhte die Kosten der mit Erdgas betriebenen Kraftwerke und verteuerte den gesamten Großhandelspreis für Strom, weil meist die Erdgaskraftwerke als marginale Produzenten preisbildend sind. Dieser Grund für hohe Strompreise ist weitgehend entfallen. Zuletzt ist der europäische Großhandelspreis für Erdgas wieder auf das Niveau von September 2019 gefallen. Kostennachteile bestehen weiterhin gegenüber den USA, die im Gegensatz zu Deutschland in die heimische Gasproduktion investiert haben, nicht dagegen gegenüber Asien.

Zum anderen erhöhte sich seit Ende 2020 der CO2-Preis im Europäischen Zertifikatehandel von ca. 24 Euro auf um die 90 Euro am aktuellen Rand. Diese Preiserhöhung hat einen nachhaltigen Effekt auf den Großhandelspreis am Strommarkt und bedeutet für Gaskraftwerke zusätzliche Grenzkosten von 4 ct/kWh und mehr. Gegenüber den Jahren vor der Energiekrise ergibt sich alleine daraus in etwa eine Verdoppelung des Großhandelspreises am Strommarkt. Letztlich ist diese Preiserhöhung politisch gewollt, auch wenn solche Kosten, die sich aus einer steigenden CO2-Bepreisung ergeben, in den meisten anderen Teilen der Welt – zumindest auf diesem Niveau – nicht existieren.

Während gerade über das Arbeitspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und dessen Vorschlag eines Brückenstromtarifs für die Industrie diskutiert wird, hat Deutschland dieses Jahr bereits knapp 3 Mrd. Euro an Beihilfen an die strom­intensive Industrie bereitgestellt, ohne dass dies in dem BMWK-Papier auch nur erwähnt wird. Bei diesen 3 Mrd. handelt es sich um Mittel für die sogenannte Strompreiskompensation, die für bestimmte, besonders stromintensive Industrien einen Ausgleich dafür schaffen soll, dass der europäische CO2-Handel den Strompreis inzwischen deutlich erhöht. Wegen der bereits erfolgten Steigerung des CO2-Preises ist absehbar, dass die Mittel 2024 auf fast 5 Mrd. anwachsen müssten, um den Preisanstieg abzufedern. Das Kabinett hat am 9. August im Umlaufbeschluss dafür 2,6 Mrd. Euro eingeplant.

Die Konstruktion der Strompreiskompensation, die im Gegensatz zu neuen BMWK-Vorschlägen bereits europäisch abgestimmt ist, mag nicht perfekt sein. Aber im Gegensatz zum Gießkannenprinzip der vom BMWK zum Vorbild ernannten „Besonderen Ausgleichsregelung“ bestimmt es die relevanten Sektoren noch vergleichsweise zielgenau. Darüber hinaus adressiert es einen Nachteil, der in der politischen Bepreisung liegt. Das Instrument versucht nicht gegen reale Kostennachteile „anzusubventionieren“.

Deutschland hat sich trotz gigantischer Herausforderungen entschieden, grundlastfähige, funktionsfähige Kraftwerke stillzulegen und hat damit das Vertrauen der stromintensiven Industrien in den Standort sicher nicht gestärkt. Die CO2-freie Stabilisierung der Stromversorgung ist eine Mammutaufgabe und erfordert einen teuren und technologisch noch nicht ausgereiften Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, der sicher nicht 2030 abgeschlossen sein wird, schon weil die Infrastruktur dafür noch nicht einmal in Ansätzen vorhanden ist. Deutschland, das weder besonders viel Wind, Sonne oder nennenswerte Stauseen zu bieten hat, sollte daher besser seine Mittel investieren, anstatt neue schuldenfinanzierte Subventionen auszuschütten, die reale Kostennachteile nicht verringern, sondern nur notdürftig zukleistern.
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Autor: Weichenrieder, A., „Geld mit der Gießkanne kauft keine realen Standortvorteile“, Wirtschaftsdienst, 103. Jahrgang., Heft 8, 2023, Seite 506-507, als Open Access | CC BY 4.0 | DOI: 10.2478/wd-2023-0142

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